Ein dumpfer Knall hallte über das Wasser, und Bolitho sah nach oben, wo plötzlich ein rundes Loch im Vormarssegel klaffte. Der Franzose hatte ein Buggeschütz abgefeuert, um sich auf die Entfernung einzuschießen. Bolitho drehte sich um und beobachtete, wie weit draußen in Luv eine dünne Fontäne aus der See stieg.

Er sagte:»Unterrichten Sie das untere Geschützdeck von meinen Absichten, Mr. Inch. «Als ein Midshipman zum Niedergang rannte, schnauzte er:»Langsam gehen, Mr. Penrose!«Der Junge drehte sich um und wurde rot.»Vielleicht beobachtet ein Franzose im Teleskop, was Sie tun. Lassen Sie sich also Zeit.»

Wieder ertönte ein Knall, und diesmal schlug das Geschoß an Backbord ein und schleuderte Sprühwasser hoch über die Netze, so daß sich einige Leute bei den Vorsegelschoten erschreckt duckten.

Bolitho rief:»Sorgen Sie dafür, daß die Männer auf dem Hauptdeck außer Sicht bleiben, Mr. Stepkyne. Wir werden gleich halsen, aber ich will nicht, daß auch nur ein einziger Mann eine Hand rührt, ehe ich den Befehl gebe.»

Er sah Stepkyne nicken und wendete seine Aufmerksamkeit wieder dem Feind zu. Er fragte sich, was Pascoe wohl auf seiner Station im unteren Geschützdeck tat, und wurde hin- und hergerissen von dem Wunsch, ihn in der Nähe zu haben, ihn andererseits aber unten, hinter dem zusätzlichen Schutz der dicken Planken zu lassen.

Merkwürdigerweise waren es im allgemeinen die älteren Leute, denen das Warten besonders schwerfiel, dachte er. Die jüngeren oder die Neulinge waren zu beeindruckt oder zu verängstigt, um noch klar zu denken. Erst wenn alles vorüber und der Lärm und der Anblick aus dem Gedächtnis verdrängt waren, dachten sie an den nächsten Einsatz und den, der darauf folgen würde.

Das nächste Geschoß des Franzosen traf das Bootsdeck, hob die Barkasse förmlich aus ihrer Halterung und füllte die Luft mit Splittern. Hinter dem Steuerbord-Schanzkleid stürzten drei Leute um sich schlagend und schreiend auf das Deck. Einer von ihnen war von einem langen Holzsplitter beinahe durchbohrt.

Bolitho rief:»Mehr Leute an die Luvbrassen, Mr. Stepkyne!«Er sah, wie der Leutnant den Mund öffnete, um zu erwidern, doch dann wendete er sich mit wütendem Gesicht ab und gab den Befehl weiter.

Bis ein weiteres Geschoß in die Bordwand einschlug, fand Bo-litho Zeit für Verständnis und Mitgefühl mit Stepkynes Verärgerung. Diese sorgfältig gezielten Schüsse hinzunehmen, ohne das

Feuer zu erwidern, war fast mehr, als jemand ertragen konnte. Doch wenn er Gegenwehr zuließ, mochte der französische Kommandant seine wahren Absichten sofort durchschauen und hatte noch Zeit, seinen Kurs zu ändern.

Gossett knurrte:»Die Froschfresser segeln so dicht am Wind, wie sie nur können, Sir. «Er fluchte, als ein Geschoß über die Netze jaulte und weit querab einschlug.»Wenn er versucht, über Stag zu gehen, gerät er bald in die Klemme.»

Bolitho sah, wie die verwundeten Matrosen zum Hauptniedergang geschafft wurden; eine Blutspur markierte jeden Fuß des Wegs. An den Geschützen drehten sich ein paar Kanoniere mit erstarrten Gesichtern nach ihnen um.

Näher und näher kamen sich die Schiffe, bis der führende feindliche Zweidecker nur noch eine Kabellänge vom Backbordbug der Hyperion entfernt war.

Bolitho preßte die Hände hinter dem Rücken zusammen, bis der Schmerz wieder Ordnung in seine rasenden Gedanken brachte. Jetzt konnte er nicht länger warten. Jeder Augenblick mochte ein gutgezieltes Geschoß oder ein Zufallstreffer einen entscheidenden Schaden im Rigg anrichten oder sein Schiff manövrierunfähig machen, ehe er seine Drehung ausführen konnte.

Ohne Gossett anzusehen, befahl er scharf:»Ruder hart Backbord!«Als das Rad sich knarrend zu drehen begann, legte er die Hände als Trichter an den Mund und schrie:»Klar zur Halse! Alle Mann an die Schoten, Halsen und Brassen!»

Er sah die großen Schatten der Segel über die kauernden Kanoniere streichen, hörte das Winseln der Blöcke und das wilde Stampfen nackter Füße, als die Matrosen sich in die Taue warfen und sich das Schiff dann langsam dem Franzosen zuzuwenden begann.

Ein, zwei Sekunden dachte Bolitho, er hätte zu früh gehandelt und beide Schiffe würden vierkant zusammenstoßen. Doch als die Rahen zur Ruhe kamen, die Leinwand oben sich wieder füllte, sah er den anderen Zweidecker an Backbord vorüberziehen. Seine Masten befanden sich fast in einer Linie. Wie Gossett schon bemerkt hatte, konnte der Feind nicht wieder in die bessere Position kommen, ohne direkt in den Wind zu drehen, aber er konnte auch nicht abfallen, falls der Kommandant sein ungeschütztes Heck nicht der Breitseite der Hyperion aussetzen wollte.

Bolitho brüllte:»Volle Breitseite, Mr. Stepkyne!»

Er sah die Stückführer sich an ihren Geschützen ducken, die Abzugsleinen gespannt, während sie durch die offenen Pforten spähten und ihre Bedienungen bereitstanden, die Rohre mit Handspaken zu schwenken oder zu heben, wenn es erforderlich war.

Ein Geschoß schlug durch die Backbordgangway, und ein Mann schrie wie ein gepeinigtes Tier auf. Doch Bolitho hörte es kaum. Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete er das näherkommende Schiff. Die Leute um ihn herum und der Kommodore waren vergessen, als er sah, wie die Bramsegel seiner Hyperion ein verzerrtes Schattenmuster über den Bug des Franzosen warfen.

Er hob die Hand.»Auf dem Höhepunkt…«Er machte eine Pause, seine Kehle war trocken wie heißer Sand.»Feuer!»

Die Breitseite der Hyperion krachte laut wie hundert Donnerschläge, und während das ganze Schiff bebte, als ob es aufgelaufen wäre, wurde der Rumpf des Feindes von aufwallendem Pulverqualm völlig verhüllt.

Jenseits des nur fünfzig Meter breiten Wasserstreifens mußte die Breitseite wie eine Lawine gewirkt haben. Bolitho konnte sehen, daß Männer den Mund aufrissen und brüllten, aber hören konnte er noch nichts. Das schärfere, ohrenbetäubende Krachen der Neun-pfünder auf dem Achterdeck hatte Denken und Hören fast unerträglich schmerzhaft gemacht. Dann sah er über dem aufsteigenden Pulverrauch, daß die Rahen des französischen Schiffs unkontrolliert überkamen und die Obersegel im entgegenstehenden Wind wild schlugen.

Als er wieder hören konnte, vernahm er das Triumphgeschrei seiner Stückführer. Dann sah er Dawsons Marinesoldaten zu den Finknetzen gehen, die langen Musketen wie bei der Parade geschultert. Als Dawsons den Degen senkte, feuerten die Musketen wie eine einzige, und die Kugeln flogen durch den Rauch, um zur allgemeinen Verwirrung an Bord des Feindes beizutragen.

Stepkyne kam auf dem Hauptdeck nach achtern und fuchtelte mit den Händen, als ob er seine Leute zurückhalten wolle.»Zündlöcher verschließen! Auswischen!«Er blieb stehen und schlug den Arm eines Mannes zurück.»Auswischen, habe ich befohlen, verdammter Kerl!«Er packte einen Matrosen am Handgelenk.»Soll dir das

Ding vor der Nase explodieren?«Dann schritt er weiter.»Beeilung! Laden und ausrennen!»

An jeder Kanone arbeiteten die Leute wie in Trance. Ihnen war nur noch der Drill im Bewußtsein, den sie unter den wachsamen Augen ihrer Geschützführer gelernt hatten.

Bolitho rief:»Einzelfeuer!«Würgend und hustend trat er zurück, als die Geschütze wieder aufbrüllten, Qualm und Flammen spieen und das Wasser zwischen den beiden Fahrzeugen zu nächtlicher Finsternis verdunkelten.

Dann feuerte das französische Schiff. Das Mündungsfeuer seiner Breitseite lief vom Bug bis zum Heck wie eine Doppelreihe gelbroter Flammenzungen.

Bolitho spürte, wie die Kugeln heulend durch Wanten, Tauwerk und Segel fuhren, und nahm den härteren, polternden Schlag wahr, mit dem einige sich tief in den Rumpf selbst gruben.

Ein Matrose fiel, anscheinend unverletzt, durch den Rauch aus dem Großmast und prallte zweimal von den ausgespannten Netzen ab, ehe er leblos über Bord stürzte.

Das Brüllen eines Geschützführers hinter Bolitho übertönte das donnernde Kanonenfeuer und das gelegentliche Knattern der Musketen. Seine Augen funkelten weiß in dem vom Pulverdampf geschwärzten Gesicht, als er seine Leute an den Taljen antrieb.


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