«Ausrennen, ihr lahmen Krüppel! Wir werden's denen schon beibringen.»

Dann riß er an der Abzugsleine, und der Neunpfünder, vom Rückstoß binnenbords geschleudert, spuckte Rauch aus seiner schwarzen Mündung; schon stürzten die Kanoniere sich wieder auf ihn, um auszuwischen und neu zu laden.

Durch den treibenden Rauchvorhang rannten die Pulveräffchen, ließen ihre Ladungen fallen und taumelten, fast ohne einen Blick nach rechts oder links zu werfen, zur Luke zurück.

Pelham-Martin stand nach wie vor an der Reling. Sein schwerer Mantel war fleckig von Pulverasche und abgesplitterter Farbe. Er starrte zu den Masten des französischen Schiffs hinauf, von der Nähe des Todes anscheinend hypnotisiert, während Musketenkugeln um ihn herum auf das Deck hämmerten und ein Matrose, dessen Schreie das ihm aus dem Mund schießende Blut erstickten, den Niedergang hinabgeschleudert wurde.

Inch rief:»Wir sind bald vorbei, Sir!«Seine Augen tränten, während er durch den Qualm spähte und nach dem zweiten französischen Schiff suchte. Dann deutete er mit wilden Gesten, seine Zähne leuchteten weiß in dem schmutzigen Gesicht.»Ihr Besan fällt!«Er drehte sich nach Gossett um, ob der ihn auch gehört hätte.»Jetzt fällt er!»

Tatsächlich begann der Besanmast des Franzosen zu fallen. Ein Glückstreffer mußte etwa zehn Fuß über dem Deck eingeschlagen sein, denn noch als Bolitho sich am Netz festklammerte, um besser zu sehen, rissen Wanten und Pardunen wie Bindfäden, Spieren und wild flatternde Leinwand schwankten, pendelten einen Augenblick in einem unentwirrbaren Knäuel, ehe sie in den Rauch hinabstürzten.

Doch der Feind schoß nach wie vor, und als Bolitho angespannt nach oben spähte, stellte er fest, daß von den Marssegeln der Hyperion kaum Fetzen vorhanden waren. Noch während er hinaufsah, beobachtete er, wie das Großbramstag mit einem Knall riß, und als Matrosen auf enterten, um ein anderes an seiner Stelle anzusplei-ßen, fielen sie tot oder verwundet auf die Netze herab, da die versteckten französischen Scharfschützen ihr mörderisches Feuer auch durch den Qualm aufrechterhielten.

Der zerschossene Besanmast mußte dicht neben dem Achterschiff des Feindes ins Wasser gefallen sein, denn obwohl die langen, orangefarbenen Zungen weiter durch den Rauch stießen und einer von Bolithos Zwölfpfündern wie trunken schwankte, ehe er im Sturz zwei Männer seiner Bedienung erschlug, verkürzte sich der verschwommene Umriß des französischen Schiffs; langsam, aber unaufhaltsam begann es abzudrehen.

Gossett schrie mit rauher Stimme:»Der Besan muß als Treibanker wirken. «Er schlug einem seiner Rudergänger auf die Schulter.»Weiß Gott, wir können noch hoffen.»

Bolitho verstand, was er sagen wollte. Er rannte zur Reling und suchte nach der scharlachroten Uniform von Leutnant Hicks auf dem Vorschiff. Er wußte: Sobald der Feind den nachschleppenden Besanmast gekappt hatte, war er wieder kampffähig.

Er riß Inchs Sprachrohr an sich und schrie:»Die Backbordkarronade — Feuer!»

Er glaubte zu sehen, daß der Leutnant der Marinesoldaten mit dem Hut winkte, doch in diesem Augenblick feuerte der Feind eine weitere ungeregelte Breitseite ab; manche Kugeln schlugen durch offene Stückpforten, andere hämmerten in den Rumpf oder flogen wie heulende Dämonen über das Deck hinweg.

Durch das Leichentuch des Rauchs hörte er eine dröhnende Detonation und spürte ihr Nachbeben vom Bug bis zum Heck, als die niedrige, schwere Karronade ihre gewaltige Ladung von achtundsechzig Pfund gegen das Heck des Feindes schleuderte.

Als ein leichter Windstoß den Rauch beiseite schob, sah Bolitho die schwere Kugel drüben explodieren. Hicks war zu eifrig gewesen oder zu aufgeregt, denn statt durch die Heckfenster des Feindes und die ganze Länge seines unteren Geschützdecks zu fliegen, hatte sie das Achterdeck dicht unterhalb der Netze getroffen. Es folgte ein greller Blitz, als die Kugel barst und ihre enggepackte Schrapnell-Ladung freigab; er hörte entsetztes Gebrüll, während zugleich ein großer Teil des Schanzkleids fortgerissen wurde.

Gossett brummte:»Das zeigt es ihnen. Der alte Kracher nimmt ihnen die Luft!»

Bolitho sagte:»Die Ruderanlage ist getroffen, oder der Schuß hat den größten Teil ihrer Offiziere erwischt. «Er spürte, daß eine Musketenkugel an seinem Hemd zupfte, aber nicht mehr Wirkung erzielte als die Berührung eines Kindes. Doch ein Matrose hinter ihm stieß einen Todesschrei aus und wälzte sich von seinem Geschütz fort, die Hände gegen den Leib gepreßt, während sein Blut über die Planken und seine umstehenden Kameraden spritzte.

Das ganze Schiff schien von mörderischem Wahnsinn gepackt zu sein. Die Kanoniere arbeiteten wildblickend und so benommen vom Schlachtenlärm und den grauenvollen Schreien der Verletzten, daß die meisten jeden Sinn für Zeit oder Vernunft verloren hatten. Manche Stückführer mußten mit den Fäusten zuschlagen, um ihre Leute durch die endlose Routine des Ladens, Ausrennens und Ab-feuerns zu treiben, weil sie sonst auf das leere Meer geschossen oder ihre Kanone ungeladen durch die Pforte geschoben hätten.

«Feuer einstellen!«Bolitho packte die Reling und wartete, als die letzten Schüsse von der unteren Batterie heraufdröhnten. Das französische Schiff war im wallenden Qualm fast verschwunden. Nur seine Bramsegel ragten noch über den Rauchvorhang auf.

Inch sagte zwischen zusammengebissenen Zähnen:»Der zweite Franzose fällt ab, Sir.»

Bolitho nickte. Er beobachtete, wie die Rahen des Zweideckers herumschwangen und das Schiff langsam nach Steuerbord abdrehte. Die Hyperion hatte bereits zu ihrer zweiten Drehung angesetzt, doch statt zwischen den beiden Schiffen hindurchzustoßen, würde sie jetzt — wenn der Franzose seinen neuen Kurs beibehielt — mit dem Feind parallel laufen. Über Bolitho hoben sich die zerrissenen Segel und knatterten in einem plötzlichen Windstoß, und mit müder Würde legte die Hyperion sich auf die Seite und nahm dann ihren neuen Kurs auf, vom Lande fort.

Bolitho rief:»Steuerbordbatterie klar zum Feuern!«Er sah Step-kyne einigen Leuten auf der anderen Seite heftig zuwinken und sie an die Steuerbordgeschütze befehlen.

Pelham-Martin hob eine Hand zum Gesicht und starrte dann seine Finger an, als ob es ihn überrasche, daß er noch lebte. Zu Bo-litho sagte er mit gepreßtem Murmeln:»Die werden nicht so lange warten, ehe sie das Feuer erwidern.»

Bolitho sah ihn fest an.»Abwarten, Sir.»

Dann fuhr er herum, als von neuem Geschützdonner durch die Rauchschwaden drang; vermutlich hatte die Abdiel den Kampf mit der feindlichen Fregatte aufgenommen.

Inch rief:»Wir überholen sie, Sir.»

Trotz ihrer zerfetzten Segel schaffte es die alte Hyperion. Vielleicht hatte der französische Kommandant zu lange gewartet, bis er die Segel auffierte, oder vielleicht hatte er sich auch nicht vorstellen können, daß sich ein einzelner Zweidecker nach diesem ersten harten Gefecht noch einmal zum Kampf stellte. Der Klüverbaum passierte bereits das Achterschiff des Franzosen in kaum dreißig Meter Abstand. Über der vertrauten Hufeisenform des Heckfensters mit seinen vergoldeten Verzierungen und dem Namen Emeraude konnte Bolitho das Sonnenlicht auf gerichteten Waffen funkeln sehen und gelegentlich einen Musketenschuß hören. Doch unter ihrem Heck entstand zunehmend Gischt, und er sah, wie sich das Schiff etwas auf die Seite legte, den Wind in den geblähten Segeln fing und mit zunehmender Geschwindigkeit davonglitt.

Inch knurrte:»Die holen wir nicht ein, Sir. Wenn sie wieder in

Luvposition kommen, können sie sich gegen uns wenden und das andere Schiff decken, bis es wieder gefechtsbereit ist.»

Bolitho ignorierte ihn.»Mr. Gossett — Backbordruder!«Er hob die Hand.»Still jetzt! Achtung!«Er sah, daß der Bugspriet der Hyperion sich ganz leicht windwärts drehte, so daß sie für wenige Augenblicke dem Heck des französischen Schiffs ihre volle Breitseite zeigte.


Перейти на страницу:
Изменить размер шрифта: