Fitzmaurice fragte:»Sie ließen die Thetis entkommen?»
Farquhar sah ihn kalt an.»Ich hielt die Informationen, die der Spanier mir geben konnte, für wertvoller als eine Prise oder — «, fügte er hinzu — ,»als das Prisengeld.»
Als Bolitho sich das erste Mal vernehmen ließ, wandte sich Far-quhar in der Annahme, daß noch jemand seine Handlungsweise kritisieren wolle, brüsk um.
Bolitho sagte aber nur:»Das war gute Arbeit. «Sie war auch gut für Farquhar gewesen, denn indem er das feindliche Schiff aufgespürt und angegriffen hatte, hatte er sich von seiner befohlenen Position entfernt. Dadurch hatte ihn die zu ihm entsandte Korvette nicht finden und zu seinem Untergang führen können.
Nach einer Weile fügte Bolitho hinzu:»Haben Sie etwas Wichtiges bei dem Spanier gefunden?»
Farquhar schien erleichtert.»Es war nur noch ein Offizier am Leben. Er erzählte mir, daß seine Fregatte das Schatzschiff San Leandro begleitet und Caracas vor sechs Tagen mit Ziel Teneriffa verlassen hatte. Auf der Höhe von Tortuga stürzten sich vier Linienschiffe und die Fregatte Thetis auf sie. Allem Anschein nach hatten die Dons[3] sich kräftig zur Wehr gesetzt, aber ohne eine Chance. Die San Leandro strich die Flagge, und ein Prisenkommando ging zu ihr an Bord. Die spanische Fregatte konnte es angesichts ihrer Schäden weder verhindern, noch konnte sie den Verband verfolgen, und während das Geschwader mit seiner Prise davonsegelte, drehte die Thetis bei und erwartete den kommenden Morgen, um ihr den Fangschuß zu versetzen. Den Rest kennen Sie, meine Herren.»
Das Schweigen in der Kajüte, das diesen Ausführungen folgte, war bedrückt und voller Spannung, da jeder der Anwesenden erst einmal über das Gehörte nachdachte.
Farquhar sagte abschließend:»Obwohl ich den Spanier in Schlepp nahm, konnte ich ihn nicht retten. Er schnitt im aufkommenden Seegang unter und versank mitsamt den meisten Leuten, die das Gefecht überlebt hatten.»
Mulder kam quer durch die Kajüte herüber und fragte, an den großen Tisch gelehnt:»Was haben Sie noch aus dem spanischen Leutnant herausbekommen?»
Farquhar zuckte die Achseln.»Mein Schiffsarzt mußte ihm den rechten Fuß amputieren, und bis jetzt befindet er sich noch in sehr schlechter Verfassung. Ich glaube, er nimmt den Verlust der San Leondro schwerer als den seines Fußes. Aber er hat noch einiges gesagt, von dem ich nicht weiß, ob es wichtig ist. Unmittelbar nach der Besetzung des Schatzschiffes wurde an dessen Großmast eine seltsame Flagge gehißt: gelb mit einem schwarzen Adler drauf.»
Kapitän Fitzmaurice, der bisher verdrießlich auf den Fußboden gestarrt hatte, fuhr ruckartig hoch.»Das war doch die Flagge, die über Las Mercedes wehte! Meine Leute vom Landungskorps haben sie gesehen, als sie die Gefangenen befreiten. «Er starrte in Bolithos ernstes Gesicht.»Es ist die Standarte des dortigen Gouverneurs.»
Pelham-Martins Hände hoben sich etwas von den Armlehnen und fielen gleich wieder kraftlos zurück. Er sagte stockend:»Was steckt hinter all dem? Eine neue Falle, ein weiterer Trick, um uns auf eine falsche Spur zu locken? Es kann viel bedeuten — oder gar nichts.»
Fitzmaurice blickte an ihm vorbei und kniff die Augen zusammen, da er sich sehr konzentrierte.»Wenn Lequiller das Schatzschiff gekapert hat, müßte das doch seiner Sache schaden. Die Dons werden dadurch weniger geneigt sein, die Fronten zu wechseln, wie sie es in der Vergangenheit mehrmals getan haben.»
Pelham-Martins Stimme klang gequält.» Wenn es Lequiller war!»
«Daran ist nicht zu zweifeln, Sir. «Farquhar beobachtete ihn ausdruckslos.»Der spanische Leutnant hat das führende Schiff ganz deutlich gesehen. Einen Dreidecker mit der Flagge des Vizeadmirals im Vortopp.»
Der Kommodore sank tiefer in seinen Stuhl.»Alles, was wir zu unternehmen versuchten, jede unserer Bewegungen wurde von Lequiller vorausgesehen.»
Farquhar blickte erstaunt auf.»Aber wenigstens haben wir es jetzt nur noch mit der Hälfte seines Geschwaders zu tun, Sir.»
Fitzmaurice unterbrach brüsk:»Aber zwei Schiffe sind bei Las Mercedes entkommen.»
«Wenn ich nur mehr Schiffe hätte!«Pelham-Martin schien gar nicht zuzuhören.»Sir Manley Cavendish wußte genau, wem ich gegenüberstand, und doch gab er mir nur eine bescheidene Streitmacht, um damit fertigzuwerden.»
Farquhar wandte sich an Bolitho.»Was meinen Sie, Sir?»
Bolitho antwortete nicht sofort. Während die anderen redeten und Pelham-Martin sein Gewissen nach Gründen und Entschuldigungen erforschte, hatte er versucht, irgendeinen Hinweis zur Lösung des Rätsels zu entdecken, denn als solches erschien ihm das Verhalten des Franzosen von Anfang an.
Er fragte:»Was wissen Sie über den Gouverneur von Las Mercedes?»
Mulder machte eine vage Handbewegung.»Er heißt Don Jose Perez. Angeblich hat er seinen Posten in der Karibik zur Strafe und nicht als Auszeichnung bekommen. Er stammt aus einer reichen
Adelsfamilie und soll den spanischen Hof gegen sich aufgebracht haben, weil er die Steuern für seine Ländereien anderweitig verbraucht hatte. Las Mercedes muß ein Gefängnis für solch einen Mann gewesen sein; nach den zwanzig Jahren, die er dort verbracht hat, dächte ich.»
Bolitho fiel ihm ins Wort:»Zwanzig Jahre?«Er begann, in der Kajüte auf und ab zu gehen, von den anderen erstaunt beobachtet.»Ich fange an zu begreifen. Lequiller diente hier schon während der Amerikanischen Revolution und benutzte Las Mercedes mehrmals als zeitweilige Basis. Er mußte alles über Perez' Vergangenheit wissen, mag sein Vertrauen erworben und gemeinsam mit ihm Zukunftspläne geschmiedet haben. «Er hielt inne und sah die Versammelten nacheinander an.»Ich glaube, ich weiß jetzt, was Le-quiller im Schilde führt und wie seine Befehle lauteten, als er unsere Blockade durchbrach.»
Fitzmaurice sagte:»Ein Angriff auf die spanische Flotte?»
«Noch etwas viel Kühneres und Erfolgversprechenderes!«Bo-litho ging an die Heckfenster und schaute auf sein eigenes Schiff hinüber.»Jeder Angriff auf spanische Gebiete hier draußen würde die öffentliche Meinung nur gegen ihn aufbringen. Aber bedenken Sie, welchen Eindruck es machen würde, wenn er nach Spanien selber zurückkehrte!»
Pelham-Martin atmete schwer.»Aber das ist absurd! Der spanische Hof würde diesen Perez hängen lassen, ob er nun Aristokrat ist oder nicht.»
«Wenn er allein und ohne Beistand käme, gewiß. «Bolitho sah ihm kühl in die Augen.»Aber mit Lequillers Geschwader hinter sich und im Besitz des Schatzschiffes, in dessen Laderäumen gewaltige Goldwerte liegen, sieht der Fall ganz anders aus. «Als er sah, daß die Unsicherheit auf Pelham-Martins rundem Gesicht sich in Panik verwandelte, wurde seine Stimme noch härter.»Lequiller hat alle Register gezogen. Seine Devise lautet: teile und siege, und er hat fast alles erreicht, was er sich vorgenommen hatte. Wir sind gewarnt worden, daß er von seiner Sache besessen und rücksichtslos sei. Die Tatsache, daß er wehrlose Gefangene aufhängen ließ, sollte Beweis genug dafür sein, wie entschlossen er ist, sein Ziel zu erreichen.»
Farquhar nickte.»Sie haben recht, weiß Gott. Das Vertrauen, das die spanische Regierung in unsere Fähigkeiten gesetzt haben mag, wird beim Auftauchen von Lequillers Geschwader untergraben. Und jeder Unwille, den der Hof noch gegen Perez hegen sollte, wird sich in Nichts auflösen, wenn ihm der Schatz unangetastet übergeben wird.»
«Die Kirche wird das Ihre dazutun. «Fitzmaurice setzte sich erschöpft hin.»Ein angemessener Teil des Schatzes wird zweifellos den Weg in ihre Kassen finden. «Weniger heftig fügte er hinzu:»Sind denn alle unsere Anstrengungen vergeblich gewesen? Schon jetzt mögen Lequillers Schiffe auf dem Heimweg sein. «Er sah den bewegungslos dasitzenden Kommodore fest an.»Können wir nichts tun?»
Bolitho sagte:»Die ganze Zeit habe ich versucht, die Lage mit Lequillers Augen zu betrachten, seine Taktik, seine Mißachtung all dessen, was nicht seinem Ziel dient. Als ich diese spanischen Soldaten in französischen Uniformen sah, hätte ich erraten sollen, wie weit seine Absichten reichen. Sie müssen diese Leute monatelang ausgebildet haben, vielleicht noch länger, und die Uniformen dienten lediglich dazu, die wirkliche Absicht des Gouverneurs zu tarnen. Schlimmstenfalls konnte er sich immer damit rechtfertigen, daß seine Garnison vom Feind überrannt worden sei. «Er machte eine kleine Pause, bevor er hinzusetzte:»Zumindest wird Perez eine gut ausgebildete Truppe hinter sich haben, wenn er in seine Heimat zurückkehrt, wo sicher viele zu seiner Fahne stoßen we r-den.»
3
Spitzname für die Spanier