Wir warteten schweigend, während ich gleichzeitig versuchte, den Hausflur und die Wohnungstür im Auge zu behalten. Nichts geschah. Die Sekunden dehnten sich scheinbar endlos. Schließlich wurde es mir zu bunt. Mein Instinkt warnte mich, Ray zu folgen, aber ich tat es dennoch und näherte mich vorsichtig der Tür. Als ich schon nach der Klinke greifen wollte, nahm ich ein anderes Geräusch wahr – ein pulsierendes Piepsen, wie es ein Telefon von sich gibt, wenn man es länger als dreißig Sekunden ausgehängt hat. Das Geräusch irritierte mich; es war ein weiteres Indiz, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Doch durch die halb offene Tür sah ich nichts als Dunkelheit und ein paar verwischte Lichtpunkte von den gegenüberliegenden Häusern.
Ich blieb noch an die zehn Sekunden dort, wo ich war, und hörte nichts weiter als das Piepsen des Telefons. Dann drückte ich den Handrücken sacht gegen die Türfüllung, atmete tief ein und war mit einem Schritt über der Schwelle.
Im gleichen Moment flammte etwas auf, ein gleißendes Licht, das mich blendete, sodass ich automatisch den Arm hochriss, um meine Augen zu schützen. Und doch erkannte ich genug, um zu wissen, dass ich in die Falle gegangen war; ich verspürte schlagartig das bekannte, leere Gefühl in der Magengrube und einen säuerlichen Geschmack in der Kehle. Was ich sah, ließ mich zusammenzucken, und danach stand ich einen Herzschlag lang wie angewurzelt da. Es waren zwei Männer mit Pistolen in den Händen, die ich nicht kannte, und ein weiterer Mann, der sich etwas abseits hielt. Es dauerte einen Moment, bevor ich ihn gegen das gleißend helle Licht erkennen konnte: Es war Phil Albano, einer der engsten Vertrauten Bachs.
Die Rückkehr ins Hauptquartier von Majestic war wie ein Albtraum für mich; Kim und ich hatten es solange geschafft, Bachs Häschern zu entgehen, bis ausgerechnet mein Bruder Ray sie auf unsere Spur gebracht hatte. Majestic bedeutete, dass das Artefakt für uns endgültig verloren war, dieser einzige offensichtliche Beweis für die Existenz der Außerirdischen, ohne dessen Hilfe unsere Geschichte nicht mehr wert war als das Gestammelte zweier Verrückter. Majestic bedeutete aber auch, dass unsere Bewegungsfreiheit eingeschränkt war und vielleicht sogar unser Leben in akuter Gefahr: Es war nicht vorauszusehen, was Bach mit uns vorhatte.
Ich saß neben Phil Albano im Fond eines großräumigen Plymouth, einer jener Familienkutschen, in denen man wohl kaum Agenten einer Organisation wie Majestic vermuten würde. Kim und meinen Bruder hatte man in einem zweiten Wagen untergebracht; offenbar hatte es Albano für sinnvoll gehalten, mich und Kim zu trennen.
»Wie seid ihr eigentlich auf unsere Spur gekommen?«, fragte ich Albano in dem Versuch, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Aber wie ich erwartet hatte, verzichtete er auf jegliche Antwort. Mit bewegungslosem Gesicht saß er neben mir; die schwarze Sonnenbrille auf seiner Nase wirkte in der Dunkelheit noch deplatzierter als sonst. Zum wiederholten Male fragte ich mich, wie er es eigentlich schaffte, durch die dunklen Gläser auch in der Nacht jede Einzelheit wahrzunehmen, zumal mir noch nie aufgefallen war, dass er irgendwann einmal etwas übersehen hätte.
»Was soll das, Phil«, sagte ich mürrisch. »Immerhin habe ich euch Steel geliefert.« Als er nicht antwortete, fuhr ich fort: »Ihr habt ihn euch doch geschnappt, oder?«
Diesmal antwortete Albano. »Ja, wir haben ihn uns geschnappt«, sagte er ruhig. »Um den brauchst du dir jedenfalls keine Sorgen mehr zu machen.«
»Ah ja. Umso besser.« Ich überlegte verzweifelt, wie ich das Gespräch in Gang halten konnte; denn schließlich war es möglich, dass ich etwas erfuhr, was mir später weiterhelfen würde. »Und habt ihr die Sache mit Oswalds Tod überprüft?«, fragte ich weiter.
Albano wandte den Kopf zu mir und sah mich einen Moment lang schweigend an. »Du quatschst zu viel, Loengard«, sagte er dann. »Wir sitzen doch hier nicht beim Bier zusammen und unterhalten uns über alte Zeiten.«
Allerdings nicht. Diese Vorstellung war auch etwas grotesk; ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass irgendjemand mit Albano typisches Bargeplänkel austauschte. Und schon gar nicht, wenn es um Majestic ging. »Mir ist nicht nach Smalltalk zu Mute«, antwortete ich dennoch ungehalten. »Aber es könnte ja sein, dass ich noch mehr weiß. Es könnte sein, dass ein Gespräch zwischen uns wie zwischen erwachsenen Leuten den Sinn hätte, uns auf den gleichen Kenntnisstand zu setzen.«
Albano nahm meine Worte ohne sichtbare Regung auf. Aber dennoch war da eine Kleinigkeit anders als sonst, das unbestimmte Gefühl, dass etwas seine simple Sicht, die Dinge zu betrachten, durcheinander gebracht hatte und er sich nicht ganz sicher war, ob es nicht vielleicht doch besser war, sich auf ein Gespräch einzulassen. »Du bluffst, Loengard«, behauptete er. »Du weißt gar nichts. Das mit Steel war ein Glückstreffer. Außerdem hätten wir ihn auch ohne dich erwischt; er hatte den Bogen bereits überspannt und hätte ein, zwei Tage später auffliegen müssen.«
»Aha. Und wie das?«
»Was, zum Teufel, geht dich das an?« Phil Albano wirkte trotz seiner schroffen Worte so distanziert wie immer – aber immerhin unterhielt er sich mit mir. Und das allein war schon ungewöhnlich genug.
»Es geht mich eine ganze Menge an«, antwortete ich ernsthaft und mit dem festen Entschluss, meinen einzigen Trumpf hier und jetzt auszuspielen. »Schließlich bringt ihr mich nach Majestic zurück.« Obwohl ich vorhatte, so ruhig wie möglich zu bleiben, konnte ich nicht verhindern, dass meine Stimme zitterte. »Und da läuft nicht nur Steel mit netten kleinen Ganglien rum.«
Ich glaubte im schwachen Licht der Straßenbeleuchtung zu erkennen, dass Albano die Stirn runzelte. Vielleicht täuschte ich mich auch. Aber dennoch: Ich hatte ihn immer als einen Soldaten betrachtet und als sonst nichts. Ein Mann, der Befehlen gehorchte und im Rahmen überschaubarer Regeln problemlos mit dem Unfassbaren umgehen konnte, solange es sich nur irgendwie bekämpfen ließ. Was aber musste in diesem Mann vorgehen, wenn er nicht wusste, ob seine Vorgesetzten und Kollegen vielleicht von einem bösen Geist besessen waren, von etwas, das wir Hive nannten? Ging es ihm nicht ähnlich wie schlachterprobten Kriegern im Mittelalter, die zwar Tod und blutrünstige Massaker nicht fürchten, wohl aber das unerklärbar Dämonische, das monströs Teuflische, den Leibhaftigen, der ihrem Glauben zufolge in jedem Menschen stecken konnte?
»Wenn du etwas weißt, dann spuck es aus«, sagte Albano ruhig. »Sonst spar dir deine Rede für Bach. Er ist für dein Seelenleben verantwortlich, nicht ich.«
Ich unterdrückte die Bemerkung, dass mein Seelenleben weder ihn noch Bach irgendetwas anging. »Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher«, sagte ich stattdessen laut. »Ich kann dir mehr sagen, wenn du mir verrätst, wie ihr Steel geschnappt habt.«
»Das klingt nach einem Kuhhandel«, sagte Albano verächtlich. »Auf so etwas lasse ich mich prinzipiell nicht ein.«
»Nenn es, wie du willst«, sagte ich so beherrscht wie möglich. »Aber was hast du zu verlieren? Ich bin ein Gefangener Majestics. Und das, was ich sowieso schon weiß, dürfte weit über das hinausgehen, was du mir erzählen kannst.«
»Kann sein«, sagte Albano. »Ich sehe trotzdem nicht ein, warum du die Geschichte von Steels... eh... Verhaftung wissen musst, um mir einen Verdacht zu nennen.«
»Weil es etwas schwerer ist, als zwei und zwei zusammenzuzählen«, sagte ich eindringlich. »Schließlich habe ich auch Steel enttarnt, bevor ihr das geschafft habt. Vielleicht gelingt mir das auch in einem anderen Fall.« Ich biss mir auf die Lippe; es war eine unbewusste Geste, die Albano meine Unsicherheit verraten hätte, wenn er sie gesehen hätte. Aber wir fuhren jetzt durch eine unbeleuchtete Seitenstraße und damit hatte Albano, mit oder ohne Sonnenbrille, keine Chance, irgendetwas zu sehen.