Albano ließ mich ein paar Sekunden zappeln. Die zu weiche Federung des Plymouth schüttelte mich währenddessen durcheinander und mir fiel plötzlich ein Fahrbericht in der Washington Post ein, der diesen Wagen weich und instabil wie ein Sofakissen genannt hatte. Komisch, welche Dinge einem manchmal in den Kopf kommen. Dabei war mein Gefühl viel mehr bei Kim, die mit Ray in dem vor uns fahrenden Straßenkreuzer saß und sicherlich nicht weniger verzweifelt war als ich. Wenn ich wenigstens neben ihr hätte sitzen können! Doch so konnte ich sie nicht einmal trösten.

»Also gut«, sagte Albano schließlich. »Schließen wir den Kuhhandel. Ich erzähl’ dir alles über Steel und dann sagst du mir, was du daraus für Schlüsse ziehst.«

Das war mehr, als ich erwartete hätte. »Okay«, sagte ich trotzdem schwächlich und plötzlich gar nicht mehr so sicher, dass mein Bluff eine gute Idee gewesen war.

»Bach ist dem Hinweis, dass Steel hive sein könnte und an der Ermordung Lee Harvey Oswalds beteiligt war, sofort nachgegangen«, begann Albano ruhig, während er die Sonnenbrille abnahm und gedankenverloren mit ihr spielte. »Er hat alles andere hintangestellt und sich den Film besorgen lassen, der Oswalds Ermordung zeigt. Und dabei sind wir dann tatsächlich auf etwas gestoßen, was bis dahin undenkbar gewesen wäre.« Albano fuhr fort, mit ruhiger, sachlicher Stimme von den Ereignissen nach meinem Telefonat mit Bach zu berichten. Und doch hatte seine Art zu erzählen eine ganz eigene Kraft, etwas, das mich seine Worte in der Phantasie so ergänzen ließ, dass sich ein geradezu plastisches Bild der Ereignisse in mir formte.

24. November 1963, 13:17

Majestic

»Stoppen Sie dort«, sagte Bach mit dem Telefonhörer in der Hand. »Halten Sie sie genau dort... und gehen Sie noch ein Stück zurück.«

Das Surren des Projektors verstummte einen Herzschlag lang, als Albano die Stopptaste drückte und den Film dann zurücklaufen ließ. Doch kaum setzte das Summen wieder ein, da winkte Bach mit einer schnellen Bewegung ab, die an einen Streckenposten erinnerte, der einen Formel-1-Rennwagen an die Boxen zurückruft. »Frieren Sie es genau dort ein«, ordnete er an.

»Da ist Steel nur zwei Schritte hinter Oswald, direkt hinter dem Cowboy«, stellte Albano sachlich fest. Tatsächlich war dort Steel aufgetaucht, ein schwarzweißer Schatten rechts hinter dem dicken schweren Mann mit Cowboyhut, der rechts neben Oswald ging und offensichtlich nicht nur die Aufgabe hatte, einen Gefangenen zu verlegen, sondern auch, ihn zu beschützen. Was ihm offensichtlich vollkommen misslungen war. Aber darum ging es jetzt nicht und auch nicht um die Frage, warum man Kennedys Mörder so leichtsinnig in aller Öffentlichkeit verlegt hatte. Lynchjustiz war schließlich ein Wort, dass mit keinem anderen Land der Welt so eng verbunden zu sein schien wie mit den USA. Die offene und nur unzureichend gesicherte Verlegung des Mörders des beliebtesten amerikanischen Präsidenten kam der Aufforderung zu einer Affekthandlung geradezu gleich.

Um eine Affekthandlung ging es hier aber ganz und gar nicht. Steels Gesicht wirkte angespannt und selbstversunken wie das eines Mannes, der zu allem entschlossen war. Im tristen Schwarzweiß des grobkörnigen Films, den alle Wochenschauen und Fernsehstationen immer und immer wieder gezeigt hatten, war er doch nicht mehr als ein flüchtiger Schatten, ein für die meisten Menschen namenloses Gesicht, das für den Bruchteil einer Sekunde aufblitzte und dann wieder vergessen war.

Nicht aber für Bach und Albano. Bachs Gesicht schien es verlernt zu haben, so etwas wie Überraschung zu zeigen, und doch schien es Albano, als zucke beim Anblick seines womöglich engsten Mitstreiters ein Anflug von Unverständnis und Ärger übers Gesicht. Aber statt das Bild zu kommentieren, nickte er wie geistesabwesend. »Und was hat die Überprüfung der Telefonverbindungen ergeben?«, fragte er seinen unsichtbaren Gesprächspartner, während er mit dem Telefon in der Hand an das nach innen führende Fenster trat, dessen Jalousien nicht nur wegen der Vorführung heruntergelassen waren. Er schob ein paar Lamellen auseinander, gerade weit genug, um einen Blick auf den Mann werfen zu können, der auf der Leinwand in Übergröße hinter Oswald stand, während er im Augenblick unruhig wartend auf dem Flur stand. Fast schien es, als würde Steel spüren, dass sich etwas gegen ihn zusammenbraute, denn seine sonst zur Schau getragene Überheblichkeit hatte einem unruhig flackernden Blick Platz gemacht. Er biss sich auf die Lippen und sah sich sichernd nach beiden Seiten im Gang um; eine erstaunlich menschliche Bewegung für jemanden, der hive sein sollte.

»Das ist genau einen Moment vor Oswalds Ermordung«, stellte Albano fest, der den Blick nicht von der Leinwand genommen hatte. »Und Steel steht genau in der richtigen Position.« Er musste nicht erklären, wozu die Position richtig war.

»Hat Steel mit Jack Rubys Klub auch am Tag vor der Ermordung Oswalds telefoniert?«, fragte Bach in den Telefonhörer, ohne auf Albanos Worte einzugehen. Er lauschte seinem Gesprächspartner und runzelte die Stirn. »Okay, gehen Sie der Sache weiter nach und halten Sie mich auf dem Laufenden. Und geben Sie Renaldo Bescheid, dass die Sache jetzt steigen wird.« Ohne ein weiteres Wort legte er auf und setzte den Telefonapparat auf dem Tisch ab. Einen Moment starrte er mit gerunzelter Stirn auf die Leinwand. »Schalten Sie den Projektor aus«, sagte er dann. »Und lassen Sie uns gehen. Bringen wir es hinter uns.«

Albano nickte und tat, wie ihm geheißen war. Als er auf den Ausgang zuging, fuhr seine Hand automatisch unter sein Jackett zum Holster, in dem seine schussbereite Waffe steckte. Nach Bach verließ er den Raum und schloss hinter sich die Tür des schalldichten Raums, in dem mehr brisante Entscheidungen getroffen worden waren, als es den Verantwortlichen im Weißen Haus lieb sein konnte. Dieser Raum war so etwas wie die geheime Kommandozentrale von Majestic – funktionell und fast spartanisch eingerichtet, aber absolut abhörsicher und unauffällig genug, um von gelegentlichen Besuchern aus der Politik nur als durchschnittlicher Tagungsraum wahrgenommen zu werden.

»Ach, Steel, gut dass ich Sie hier treffe«, sagte Bach ohne Umschweife, als er auf den Korridor trat und fast in seinen dienstältesten Außendienstmitarbeiter gestolpert wäre. »Kommen Sie mit, wir müssen da ein paar Dinge klären.«

Steel kniff die Augen zusammen, aber sein flackernder Blick beruhigte sich, als er sah, wie Albano hinter ihm auftauchte, seine Sonnenbrille aus der Tasche nahm und sie mit einer ruhigen Bewegung aufsetzte. »Ich wollte auch mit Ihnen sprechen«, stieß er hervor. »Es geht um Loengard. Wir müssen ihn unbedingt erwischen, bevor er mit Robert Kennedy Kontakt aufnehmen kann.«

»Da bin ich ganz Ihrer Meinung«, antwortete Bach ruhig, während er den Korridor hinunterging, der eher zu einer Finanzbehörde gepasst hätte als zu einem hoch technisierten geheimen Sicherheitstrakt unterhalb Washingtons, wären da nicht die in regelmäßigen Abständen und zusätzlich zur flackernden Neonbeleuchtung platzierten, durch massive Stahlgeflechte gesicherten Lampen gewesen, die ungewöhnlich angeschrägte Decke und die roten und gelben Notschalter, deren Funktion auf den ersten Blick kaum erkenntlich war. »Der junge Mann wird langsam lästig. Wir müssen ihn schnellstmöglich aus dem Verkehr ziehen.«

»Ich werde mich persönlich um Loengard kümmern«, sagte Steel. In seiner Stimme schwang eine Ungeduld mit, die ahnen ließ, wie sehr ihm die Angelegenheit unter den Fingern brannte. Wer nicht wusste, was in ihm vorging, hätte ihn einfach für einen engagierten Mitarbeiter halten können. »Ich werde diesen Kerl erwischen, bevor er auch nur auf einen Kilometer an Bobby Kennedy herankommt.«

»Das wäre sicherlich wünschenswert«, antwortete Bach ruhig. Er öffnete eine Zwischentür und drehte sich mit seinem typischen kalten Lächeln zu Steel um. »Zumal Loengard sich zurzeit in Washington D.C. aufhält.«


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