»Da wissen Sie mehr als ich«, sagte Steel stirnrunzelnd, während er hinter Bach die Zwischentür passierte und ihm in den Seitengang folgte, der zu den Labors führte. Er konnte nicht ganz verhindern, dass Ärger in seiner Stimme mitschwang. »Aber ich werde jetzt die Angelegenheit in die Hand nehmen und Ihnen noch heute diese kleine Ratte vor die Füße werfen.«
»Keinesfalls«, sagte Bach ruhig. »Loengard ist keine persönliche Angelegenheit...«
»Aber er ist das größte Problem, das wir zurzeit haben«, unterbrach ihn Steel.
»Loengard ist ein Problem«, stellte Bach richtig. »Und er ist mein Problem. Sie brauchen sich deswegen keine grauen Haare wachsen zu lassen.« Er blieb stehen und warf einen nachdenklichen Blick auf Steel. »Sie haben doch ganz andere Dinge vor sich«, fuhr er fort, während er die Tür zu einem kleinen Besprechungsraum aufstieß, der in letzter Zeit kaum benutzt worden war. Ohne ein weiteres Wort trat er einen Schritt zur Seite und Steel betrat automatisch den Raum, der normalerweise einen runden Tisch und vielleicht ein Dutzend Stühle beherbergte.
Es war erstaunlich, wie leicht sich Steel reinlegen ließ. Die Hive verfügten offenbar doch nicht über den sechsten Sinn, den ihnen die wenigen Eingeweihten zuschrieben. Wäre es anders, hätte Steel spätestens von dem Verdacht gegen ihn Wind bekommen müssen, als sich Bach und Albano den Film über Oswalds Ermordung angesehen hatten, nur wenige Meter von ihm entfernt und nur durch eine schalldichte Wand von ihm getrennt. Aber er hatte noch nicht einmal etwas gemerkt, als sie den Raum verlassen und ihn beinahe über den Haufen gerannt hatten – die beiden Männer, die willens waren, ihn so schnell wie möglich zu enttarnen und dann die entsprechenden Schritte einzuleiten. Vielleicht aber fühlte sich der menschliche Teil von Steel auch einfach nur zu sicher oder vielleicht lag es an der Ausstrahlung von Bach und Albano, die keine Erregung verrieten und deswegen auf ihn vollkommen unverdächtig wirkten.
Steel war einen Schritt in den Raum getreten und wollte gerade den zweiten machen, als er begriff. Sein Blick fiel auf den beigefarbenen Stuhl mit den stabilen Kunststofffesseln, der mitten im Raum stand und zu der Einrichtung passte, die jetzt plötzlich mehr an ein Labor als an einen Besprechungsraum erinnerte – mit Glasvitrinen, in denen Hertzogs Utensilien untergebracht waren, einem Metallschreibtisch, auf dem ein Mikroskop und mehrere Reagenzgläser standen; so, als sei Dr. Hertzog hier bereits vor ein paar Wochen eingezogen, um für den Fall der Fälle gerüstet zu sein. Erst dann bemerkte er die beiden kräftigen Männer in weißen Kitteln, die mit zielsicheren, schnellen Bewegungen von hinten auf ihn zustürmten, und Dr. Carl Hertzog, der inmitten des Raumes stand, mit gerunzelter Stirn einen nervösen Blick über den Rand seiner Brille auf Steel werfend, ohne dabei die Spritze aus den Augen zu verlieren, die wie ein bösartiges und zustechbereites Insekt in seiner Hand lauerte.
Steels Reaktion war schnell und doch nicht schnell genug; es war die Reaktion eines Menschen, der über eine Schrecksekunde verfügt und nicht über die eines übermenschlichen Wesens, das ohne jede Zeitverzögerung konsequent und folgerichtig handelt.
Als er herumwirbeln wollte, waren die beiden Weißbekittelten schon heran und auch Albano, der mit zwei, drei raschen Schritten an Bach vorbeigestürmt war und nun Steels linken Arm mit hartem Griff packte. Die drei Männer waren Profis und sie wussten, was sie wollten, und sie hatten den Vorteil der Überraschung auf ihrer Seite. Und doch genügte das nicht, um Steel so einfach in die Knie zu zwingen. Der Hive wehrte sich verzweifelt, riss die Männer mit einer unglaublich kraftvollen Bewegung nach vorne und zwang sie für einen Moment in eine Kehrtwendung zur Tür. Dann hatten die drei Majestic-Agenten ihre Bewegungen koordiniert und es gelang ihnen, Steels Fluchtbewegung zu stoppen. Zwei, drei Sekunden sah es nach einem Unentschieden aus – drei kräftige Männer gegen ein kaum mehr menschlich zu nennendes Wesen, das das Grauen in sich trug, irgendeine ekelhafte widerliche Kreatur, ein zuckendes, krabbelndes Etwas mit mehreren Inch langen Fühlern oder Tastarmen, das in Steel hineingekrochen war auf eine hinterlistige Art und Weise und nun sein Denken vergiftete, sich mit den aggressiven Impulsen des Menschen verband, um einen Auftrag auszuführen, der letztlich auf die Vernichtung der Menschheit hinauslaufen würde, wenn man nicht dieses Wesen und seinesgleichen stoppte.
Es war die pure Kraft der Verzweiflung, das Wissen um das abscheuliche Ganglion in ihrem Ex-Kollegen, dass den drei Agenten die Kraft gab, den Tobenden in eine Rückwärtsbewegung zu zwingen. »Nein«, schrie Steel als sie ihn auf den Stuhl drückten. Er kam wieder hoch, in der grotesken Satire eines Schülers, der aufspringt, um seinem Lehrer eine wütende Bemerkung entgegenzuschleudern, oder eines Abgeordneten, der für die CNN-Kameras das Schauspiel eines von ehrlicher Entrüstung getriebenen Wutanfalls bot.
»Es hat keinen Sinn, dagegen anzukämpfen«, sagte Bach. Er war einen Schritt in den Raum hineingetreten und betrachtete den ungleichen Kampf scheinbar teilnahmslos, so, als sei er sicher, wie er ausgehen würde. Und vielleicht war er das ja auch. »Es ist nur zu Ihrem eigenen Besten, Jim. Befreien Sie sich von diesem... Ding.«
Steel gab einen gurgelnden Laut von sich, dann ein Zischen und etwas, das wie das Knurren einer gereizten Echse klang. Es war nichts Menschliches an diesen Lauten, noch nicht einmal etwas Tierisches. Es war ein instinktiver Aufschrei einer ganz anderen Spezies, etwas, das den weiten Weg von einem entfernten Sonnensystem zur Erde gefunden hatte. Es lag so viel Unmenschliches darin, dass die Majestic-Agenten gar nicht anders konnten, als ihn mit aller Kraft niederzuringen. Albano hatte Steels Kopf gepackt; sein rechter Arm umklammerte den Hals seines Opfers, mit der linken Hand hatte er sich in seine Haare verkrallt. Damit verschaffte er den beiden anderen einen Moment Luft, lang genug, um Steels Arme niederzudrücken und die Armfesseln zuschnappen zu lassen.
»Hööört auuuf!«, schrie Steel und diesmal war es offensichtlich der menschliche Teil in ihm, der aufbegehrte. Der Stuhl war am Boden festgeschraubt und doch ging ein Ruck durch die schweren Metallrohre, als Steel mit aller Kraft gegen seine Fesseln ankämpfte. Die zwei Männer in den weißen Kitteln hielten weiterhin seine Arme gepackt und drückten sie nach unten, während Albano Steels Hals von hinten umklammert hielt, als würde er ihn endgültig erbarmungslos erwürgen wollen. Es sah aus, als ob sie ein urzeitliches Ungeheuer festhalten mussten, wie in einem dieser unglaublich simpel produzierten und doch nicht minder faszinierenden Filme Jack Arnolds, der den Kampf der Menschheit gegen irgendwelche Albtraumkreaturen in schwarzweiße Kinofilme gebannt hatte.
Bach betrachtete ihn mit kühler Distanz wie ein Wissenschaftler, der ein seltenes Phänomen vor sich hat und es unter allen Umständen studieren will, ganz egal, welches Risiko es für ihn oder andere bedeutet. Doch der Kampf war noch nicht vorbei. Dr. Hertzog war nicht untätig geblieben; er hatte die bereits aufgezogene Spritze beiseite gelegt und eine Phiole mit der Substanz in die Hand genommen, deren Mischung nur ihm und einigen wenigen anderen Menschen bekannt war. Das, was er anwenden wollte, kursierte unter den wenigen Eingeweihten als ART, als Alien Rejection Technique; etwas, das verteufelt an die Austreibung von Dämonen erinnerte, wie die Kirche sie zu betreiben in der Lage zu sein behauptete. Doch es waren keine Dämonen, denen er mit der toxischen Substanz beikommen wollte, es war eine für Menschen zwar gefährliche, aber für Ganglien mit Sicherheit tödliche Substanz, die sie aus ihrem Wirt drängte – so wie Feuer eine ekelhafte Schlangenbrut aus ihrem Versteck zwang. Die Chancen standen allerdings fünfzig zu fünfzig, dass auch der Wirt bei der mehrstündigen Prozedur zu Schaden kam; je länger er bereits vom Ganglion besessen war, umso geringer waren die Aussichten für einen Befallenen, die grausige Prozedur zu überleben.