Dr. Hertzog war mit ein paar raschen Schritten am Stuhl und drückte Albano die Phiole in die Hand, in der sich das gräulichweiße, dampfende Gemisch befand, das dem Ganglion ein Ende bereiten sollte. Dann holte er einen metallenen Trichter aus den Tiefen seiner ausgebeulten Kitteltasche hervor, eine Spezialanfertigung aus absolut beiß– und säurefestem Edelstahl, mit einer konvex geformten Öffnung, die genau in die Mundöffnung eines Menschen passte. Der ART-Trichter war erst vor kurzem optimiert worden für die Alien Rejection Technique – angepasst an eine Prozedur, die so gewaltsam ablief wie die blutige Unterwerfung eines Dissidenten in den sibirischen Foltergefängnissen. Doch im Gegensatz zu den Folterärzten in Sibirien ging es Dr. Hertzog tatsächlich ums Heilen; wenn auch nach den Regeln Majestics und gemäß den Anordnungen Bachs, für den ein Menschenleben kaum mehr als taktische Bedeutung hatte.
Steel kämpfte ums Überleben. Sein Kopf zuckte hin und her, mit einer Kraft, die angesichts Albanos Würgegriff nichts Menschliches mehr an sich hatte. Niemand wusste, was in seinem Kopf wirklich vor sich ging, wieweit sich die unvorstellbar fremde Intelligenz mit der des eiskalten Killers verbunden hatte, der im Auftrag Bachs zahllose Menschen getötet hatte. Niemand wusste, wie lange Steel das Ganglion in sich trug und wieweit er vielleicht nur noch einem ausgehöhlten Baumstamm glich, der im Inneren bereits komplett von dem fremdartigen Etwas zerfressen war. Wenn der Prozess der Übernahme schon so weit fortgeschritten war, würde ein Rettungsversuch dieses nur noch scheinbar menschlichen Wesens unweigerlich zu spät kommen.
»Machen Sie schon, Albano«, rief Hertzog. »Halten Sie seinen Kopf still.«
Steel bäumte sich mit aller Kraft gegen seine Fesseln auf. Seine Arme ruckten ein, zwei Zentimeter hoch und der Stuhl vibrierte, als würde er jeden Moment aus der Verankerung gerissen. Albano, der in der Rechten das Gefäß mit der für Ganglien tödlichen Flüssigkeit hielt, drückte mit dem linken Arm Steels Hals so fest zu, dass einem normalen Menschen der Kehlkopf eingedrückt worden wäre. Es dauerte nur ein paar Sekunden, aber es kam Albano wie eine Ewigkeit vor: Er hatte alle Mühe, Steel im Würgegriff zu halten und die Phiole mit dem Ganglion-Gift so ruhig zu halten, dass nichts verschüttet werden konnte. Wenn er den Becher mit dem dampfenden Gift fallen ließ, hatten sie keine andere Wahl mehr; dann mussten sie Steel töten.
»Geben Sie auf, Jim«, sagte Bach ruhig. »Machen Sie es uns nicht unnötig schwer.«
In Steels verzerrtem Gesicht tauchte so etwas wie der Funken eines Verstehens auf, das in grenzenlosen Hass umschlug. Er riss den Mund auf und gurgelte ein paar unartikulierte Laute, die nichts Menschliches hatten, sondern etwas in einer unvorstellbar fremden Sprache bedeuten konnten, die zu verstehen dem menschlichen Verstand vielleicht für immer versagt blieb.
Diesen Moment nutzte Hertzog. Er schlug den ART-Trichter geradezu in Steels Mund, so, wie man mit voller Wucht auf eine Vogelspinne einschlagen würde, die gerade dazu ansetzte, sich auf ihr Opfer zu stürzen. Es lag das ganze Entsetzen eines Mannes in dieser Bewegung, der in den Strudel eines lebendig gewordenen Wahnsinns geraten war. Als der Trichter in Steels Schlund einschlug wie ein Zapfhahn in ein Bierfass, knirschte Metall auf Zahnschmelz und mit einem hässlichen Krachen brachen ein paar Zahnstücke weg. Steels Gurgeln erstickte. Eine Ader trat auf seiner Stirn hervor und seine Augen waren so schreckensgeweitet wie die eines Rehs, das wie hypnotisiert in die Scheinwerfer eines heranrasenden Trucks starrt.
Albanos Hand zuckte zielsicher vor und ein Schwall graudampfender Flüssigkeit ergoss sich in den Trichter. Aus Steels Gurgeln wurde ein erstickter Schrei, als sich die saure Flüssigkeit in seine Kehle brannte. Aber er war noch lange nicht bereit aufzugeben. Der Instinkt des in die Enge getriebenen Menschen verband sich mit der Todesfurcht des Ganglions, das außerhalb seines Wirtskörpers kaum mehr als eine Stunde lebensfähig war. Steels Kopf ruckte vor und trieb damit den Trichter noch tiefer in seinen Mund. Aber es gelang ihm damit, auch den Becher mit der todbringenden Flüssigkeit beiseite zu stoßen. Unwillkürlich lockerte Albano seinen Griff etwas und Steel heulte triumphierend auf, als er mit einer ruckhaften Kopfdrehung Albanos Griff die Kraft nahm.
Doch der Majestic-Agent mit der an diesem Ort grotesk wirkenden Sonnenbrille war zu sehr Profi, um sich dadurch von seiner Aufgabe ablenken zu lassen. Mit einer entschlossenen Bewegung schüttete er den kompletten Inhalt des Bechers in den Trichter, während sich seine Linke in Steels Haare krallte. Ein paar Tropfen spritzten hoch und benetzten Steels Jackett, hinterließen kleine schmutzige Flecke, die sich geradezu in den Stoff einzubrennen schienen. Doch der größte Teil der ätzenden Flüssigkeit traf mit ungemilderter Wucht in Steels Kehle und mit würgenden Lauten schluckte er einen Teil des widerlichen Gebräus hinunter.
Die Majestic-Agenten ließen ihm keine Verschnaufpause. Hertzog hatte die Gelegenheit genutzt, um mit raschen Bewegungen seine bereits aufgezogene Spritze vom Schreibtisch zu holen. Die anderen Männer wussten Bescheid und handelten, ohne ein Wort zu wechseln. Steel wurde nach dem Schlucken von Hertzogs Spezialmischung von einem heftig würgenden Hustenanfall geschüttelt; Albano stauchte seinen Kopf nun mit aller Kraft nach vorne und die beiden anderen unterstützten die Bewegung, indem sie seine Arme losließen, ihn an den Schultern packten und ebenfalls nach vorne drückten. Hertzog trat hinter ihn, die überdimensionierte Spritze mit dem Konzentrat in der Hand, das er in Steels Blutbahn spritzen musste, um die Wirkung der oral verabreichten ART-Spezialmischung zu optimieren. Der Arzt handelte mit der ihm eigenen unerschütterlichen Professionalität; wie ein Tierarzt, der sich unversehens mit einer bissigen Bestie konfrontiert sieht und sie dennoch behandeln will und muss.
Dabei war er nicht wählerisch. Es war nicht gerade üblich, einem Menschen eine Spritze in den Nacken zu verabreichen, aber in diesem Fall war es der schnellste und damit sicherste Weg. Hertzog setzte die Spritze zwei Zentimeter über dem Wirbelansatz mit einer Bewegung an, wie sie eher üblich war, um einen Dartpfeil sicher ins Ziel zu bringen, und stieß sie mit einer harten Bewegung in Steels Nacken. Dann drückte er mit der Rechten den Kolben nach unten.
Aber er kam nicht dazu, den gesamten Inhalt zu entleeren. Steel spannte sich mit einer verzweifelten Bewegung an, zerrte an den angeblich absolut sicheren Kunststoffgurten des Spezialstuhls, die sich im Einsatz vieler psychiatrischer Kliniken bewährt hatten, die Epilepsiepatienten genauso sicher gehalten hatten wie Tobsüchtige, die man mit der gerade nur allzu populären Elektroschockbehandlung mit Sicherheit gequält, aber kaum je geheilt hatte, und wie die Patienten Dr. Freedmans, denen man bei vollem Bewusstsein einen Eispickel durch die Nase ins Gehirn getrieben hatte, um die Verbindung von konfus zusammenarbeitenden Gehirnteilen unwiderruflich zu zerstören. Bei all diesen tausend Einsätzen hatten sich die Stahlrohrstühle mit den Kunststofffesseln bewährt; nie war es einem Patienten gelungen, sich aus einem von ihnen zu befreien. Aber es gibt bekanntlich immer ein erstes Mal.
Und es war ausgerechnet Steel, der bewies, dass es immer verkehrt ist, sich zu sicher zu fühlen. Mit einer letzten Anstrengung riss er die Arme nach oben und sprengte beide Kunststofffesseln. Ehe die anderen Männer reagieren konnten, war er bereits aufgesprungen. Durch den Schwung der Bewegung wurde Albano, der sich bis zuletzt in Steels Haare verkrallt hatte, zurückgeschleudert und schlug schwer auf dem Boden auf, die beiden anderen Männer taumelten ein paar Schritte zurück, bevor sie sich wieder fangen konnten. Steel griff mit einer blitzschnellen Bewegung nach hinten und riss sich die halb volle Spritze aus dem Nacken. Doch statt sie wegzuschleudern, hielt er sie wie ein Messer in der Hand und genauso setzte er sie auch ein. Der ART-Spezialist, der sich als Erster wieder gefangen hatte und nun mit geöffneten, zum Zupacken bereiten Armen auf ihn zustürmte, bemerkte die Gefahr zu spät. Steel stieß die Spritze mit aller Kraft in seinen Bauch und jagte ihren Inhalt in den Mann. Die Wirkung war genauso schnell wie drastisch: Der Angegriffene stieß einen gurgelnden Laut aus, ruderte hilflos mit den Armen. Sein Gesicht zuckte wie bei einem epileptischen Anfall, dann riss er noch einmal die Arme hoch, schlug gegen einen Schrank und brach wie vom Blitz gefällt zusammen.