Aber der Kapitän ging nicht weg.
»Peinlich?«, wollte er wissen.
Unwillkürlich nickte ich, obwohl das schwer ist, wenn man liegt und seinen Kopf im Kopfkissen vergräbt.
»Ist schon gut, das kann jedem passieren«, sagte der Kapitän. »In einem historischen Roman las ich von einem fast identischen Vorfall. Nur dass dort ein Erwachsener zu viele Erdbeeren gegessen hatte, worauf sich sein Körper mit allergischem Ausschlag bedeckte. Er selber hielt es für eine spontane bedingt positive Mutation… Übrigens, du hättest wirklich sterben können. Wenn du noch länger gezögert hättest und es zu einem Lungenödem oder einem anaphylaktischen Schock gekommen wäre. Unangenehm, oder? Wegen irgendwelcher dummer Blütenstaub- oder Samenkörner!«
»Verzeihen Sie mir…«, flüsterte ich.
»Erzähl mir lieber von deinem Leben, Tikkirej vom Raumschiff Kljasma.«
»Ich bin nicht von der Kljasma, ich bin nur zwei Wochen da mitgeflogen.«
»Als Modul, hast du schon gesagt. Erzähl mal, wie du da hineingeraten bist und dich wieder herausgewunden hast.«
Ich setzte mich auf das Bett. Die Spritze tat, ehrlich gesagt, gehörig weh, aber ich ließ mir nichts anmerken. Kapitän Stasj sah mich lächelnd an.
Vielleicht fühlen das alle, vielleicht nur einige, aber ich wusste immer, ob sich ein Mensch wirklich für mich interessiert oder ob er sich nur aus Höflichkeit mit mir beschäftigt. Unsere Psychologielehrerin, bei der es immer interessant war, erklärte, dass es sich beim Erspüren der Stimmung eines Gesprächspartners um eine kompensatorische Verteidigungsfähigkeit der kindlichen Psyche handeln würde. Mit zunehmendem Alter verliere sich diese bei fast allen.
Für Kapitän Stasj war es interessant. Der Kapitän der Kljasma, dessen Namen ich nicht einmal kannte, hätte mir auch eine Spritze gegeben, um mich zu retten, und wäre dann gegangen. Der Älteste der Kljasma hätte mir noch meine Fehler erläutert. Der Arzt Anton hätte mir sicher zugehört.
Aber Stasj wollte sich mit mir unterhalten, obwohl er ziemlich sauer war, dass ich ihn so zeitig geweckt hatte.
Und ich begann zu erzählen. Von Anfang an — also ab dem Zeitpunkt, als Papa entlassen wurde.
Als ich Stasj das verfassungsmäßige Sterberecht eines jeden Bürgers erklärte, fluchte er, nahm eine Zigarette und begann zu rauchen. Bei uns auf Karijer rauchte kaum jemand: Dazu musste ein Zusatzbetrag für die Lebenserhaltung gezahlt werden.
Bis zum Ende meines Berichts rauchte Stasj drei Zigaretten. Es sah so aus, als hätte ihn meine Erzählung sehr stark mitgenommen.
»Weißt du, Tikkirej, anfangs dachte ich, dass es eine Falle wäre«, sagte er endlich.
»Was für eine Falle?«
»Dein Anruf. Wegen der Beulenpest. Es war klar, dass du keine Pest hast — die Pupillen waren nicht geweitet, du hattest keinen Ausschlag über den Augenbrauen… also, Angst vor Ansteckung hatte ich nicht. Und wieso hast du einen Unbekannten angerufen?«
»Ich dachte mir, dass Sie als Raumschiffkapitän…«
Stasj nickte. »Ja, natürlich. Aber das alles ähnelte sehr einer Falle oder einer Provokation. Ist schon gut, Tikkirej, lassen wir das. Es sieht ganz danach aus, als ob ich nach den letzten Tagen ziemlich ausgepowert bin und jetzt Angst vor meinem eigenen Schatten habe. Sag, was hast du nun vor?«
Interessant, wer, und warum, sollte dem Kapitän eines Raumschiffs eine Falle stellen? Ich hatte davon noch nie gehört, entschied mich aber, nicht zu fragen.
»Ich werde auf meine Aufenthaltsgenehmigung warten.«
Er nickte.
»Wissen Sie«, erläuterte ich, »wenn die Regierung von Neu- Kuweit wirklich an Einwanderern interessiert ist, dann müsste sie doch jeden Einzelfall differenziert betrachten? Stimmt’s? Und ich bin jung, gesund, habe einen guten Neuroshunt…«
»Welchen hast du?«
»Kreativ-Gigabit.«
»Chipversion?«
»Eins null eins.«
»Tja…«, Stasj lächelte, »in eurem Schlangennest — du musst schon entschuldigen, mein Freund — kann es vielleicht als gut gelten. Das hier ist ein reicher Planet, der schon seit langem auf modernere Module umgestiegen ist. Ich habe auch einen Kreativ, aber Version eins null vier.«
»Ist das die Wahrheit?«
»Die absolute Wahrheit. Ich bin dagegen, den Schrott jedes Jahr auszuwechseln. Aber auf eine bevorzugte Bearbeitung deines Antrags würde ich nicht eben setzen, Tikkirej.«
»Aber was soll ich machen, Kapitän Stasj?«
Irgendwie spürte ich, dass ich ihm gegenüber völlig offen sein und um Rat fragen konnte, ohne mich schämen zu müssen.
»Ich überlege, Tikkirej. Ich würde dir gern helfen, weiß aber im Augenblick noch nicht, wie sich meine eigenen Sachen entwickeln.« Er lächelte. »Hat sich das Jucken gelegt?«
Überrascht stellte ich fest, dass es wirklich aufgehört hatte.
»Ja!«
»Gut. Ich muss jetzt los, Tikkirej. Wenn du mir Gesellschaft leisten möchtest, können wir gemeinsam frühstücken.« Er lächelte wieder. »Ich lade dich ein.«
Ich lehnte natürlich nicht ab. Ich musste jetzt eisern sparen. Nach einer Stunde, Kapitän Stasj hatte das Motel bereits in eigener Sache verlassen, saß ich mit einer Tasse Kaffee auf der offenen Terrasse des Restaurants und beobachtete den Sonnenaufgang. Der Kapitän hatte mir empfohlen, einige Tage auf Säfte und frisches Obst zu verzichten. Selbstverständlich hielt ich mich daran. Außerdem schmeckten Tee und Kaffee hier besonders gut.
Und zudem gab es keine Kuppel über dem Kopf…
Den eigentlichen Sonnenaufgang konnte ich nicht sehen, der Wald störte.
Es war aber trotzdem beeindruckend, wie der Himmel hell wurde, sich von Schwarz in Tiefblau färbte, wie die Sterne verblassten — alle außer den zwei, drei hellsten, die auch tagsüber zu sehen waren, wenn man genau hinschaute.
Ab und an flogen Linienflugzeuge oder winzige Flyer in großer Höhe vorüber. Raumschiffe starteten mindestens einmal pro halbe Stunde. Ich hatte mich noch niemals so wohl gefühlt. Und die Hauptsache war, dass ich jetzt endgültig davon überzeugt war, dass ich immer und überall guten Menschen begegnen würde. Solchen, wie der Mannschaft der Kljasma oder Kapitän Stasj.
Wie sollte ich da nicht mit meinen Problemen fertig werden?
»He, kann ich mich zu dir setzen?«
Ich wandte mich um und erblickte einen Jungen meines Alters, vielleicht etwas älter. Er stand da mit irgendeinem Getränk und schaute mich recht unfreundlich an.
»Na sicher, setz dich.« Ich rückte sogar etwas meinen Stuhl, um ihm am Tisch Platz zu schaffen.
»Hier ist der beste Platz, um den Sonnenaufgang zu beobachten«, erklärte der Junge, »hast du dich deshalb hierher gesetzt?«
»Ja. Das ist also dein Platz?«
»Meiner. Okay, bleib sitzen, ich habe ihn ja nicht gepachtet.«
Wir beäugten uns vorsichtig. Bei Erwachsenen ist es einfach, herauszufinden, ob sie gut oder schlecht sind. Er jedoch war mein Altersgenosse und ähnelte überhaupt keinem meiner Freunde. Er war dunkel, dünn und sicher floss eine große Portion asiatischen Bluts in seinen Adern.
Seine Frisur war sehr eigenartig, seitlich verschoben, sodass der Neuroshunt über dem rechten Ohr unbedeckt war. Bei uns war es umgekehrt: Alle verdeckten den Shunt mit den Haaren. Er trug einen weißen Anzug, als ob er gerade auf dem Weg ins Theater oder zu einer Versammlung wäre.
»Wie heißt du?«, fragte der Junge.
»Tikkirej. Oder Tik, oder manchmal Kir. Aber das ist für Freunde.«
Er dachte einen Moment lang nach.
Dann sagte er: »Ich heiße Lion. Nicht Leon, sondern Lion. Kapiert?«
»Kapiert.«
Wir verstummten. Die Kellnerin ahnte, dass wir nichts mehr bestellen würden und verschwand in den Tiefen des Restaurants.
»Kommst du von hier?«, wollte Lion wissen.
»Nein, ich bin erst gestern gelandet. Ich komme vom Karijer. Das ist ein Erzplanet.«
Lion sagte lächelnd: »Und ich bin schon seit einer Woche hier. Wir kommen von Service-7, das ist eigentlich gar kein Planet, sondern eine Raumstation im offenen intergalaktischen Raum. Dort gibt es eine bequeme Zeittunnelkreuzung, und deshalb wurde beschlossen, eine Raumstation zu bauen! Die nächste Kolonie von uns ist Dshabber in acht Lichtjahren Entfernung.«