»Oho!«, rief ich aus.

»Meine Eltern haben beschlossen, dass es an der Zeit wäre, auf einen Planeten umzuziehen und nicht weiter als Kosmonauten zu leben. Ich habe noch eine jüngere Schwester und einen Bruder. Wenn du sie ärgerst, poliere ich dir die Fresse!«

»Aber ich habe doch gar nicht vor, sie zu ärgern!«

»Ich sage das für den Fall der Fälle«, teilte Lion mit, »damit du Bescheid weißt. Hast du Geschwister?«

»Nein.«

»Und was sind deine Eltern? Mein Vater ist Ingenieur, meine Mutter Programmiererin.«

»Meine Eltern sind gestorben.« Ich ging nicht ins Detail.

»Oh, entschuldige«, Lion änderte sofort seinen Ton. »Und mit wem bist du hier?«

»Allein.«

»Hast du etwa eine Staatsbürgerschaft?«

»Ja, die des Imperiums.«

Es sah ganz so aus, als ob er mich ein wenig beneidete. Nur warum? Bei uns erhält man die Staatsbürgerschaft, sobald der Verbrauch von Sauerstoff und Nahrungsmitteln die Hälfte der Erwachsenenration beträgt.

»Und du möchtest nach Neu-Kuweit umziehen?«

»Ja.«

»Prima«, Lion streckte mir seine Hand entgegen. »Wir verzichten darauf, uns zu schlagen, Tikkirej, einverstanden?«

»Einverstanden.« Ich war verwirrt. »Wäre das nötig gewesen?«

»Na, zum Kennenlernen. Bei uns ist das so üblich… war das so üblich. Aber wir sind ja auf einem neuen Planeten.«

Wir fingen beide an zu lächeln. Lion war sicher kein Schlägertyp und die Aussicht auf eine Schlägerei wegen einer Bekanntschaft bedrückte ihn.

»Hier ist es schön, stimmt’s«, fragte er.

»Hm. Bei uns lebt man unter Kuppeln, die Atmosphäre ist sehr staubig. Solch eine Morgendämmerung gibt es nicht.«

»Wir hatten überhaupt keine Sonne«, gab Lion zu. »Über der Station hing eine riesige Plasmakugel zur Beleuchtung. Aber das ist nicht das Richtige. Und sie wurde nie ausgeschaltet, nicht einmal nachts. Nur das Spektrum wurde leicht geändert.«

»Unsere Sonne ist sehr aktiv«, erklärte ich. »Deshalb sind wir etwas mutiert, positiv. Um die Radioaktivität auszuhalten. Ich vertrage radioaktive Strahlung hundertmal besser als ein gewöhnlicher Mensch.«

»Ich habe lediglich die allgemeinmedizinische Mutation, die übliche…«, erwiderte Lion sauer auf diese Neuigkeiten. »Und die Knochen sind an niedrige Gravitation angepasst. Tikkirej, kannst du schwimmen?«

»Natürlich kann ich das.«

»Gehen wir!«

Er trank mit einem Zug sein Glas leer und stand auf: »Hier ist ein See, zwanzig Minuten zu Fuß. Ein echter, natürlicher See. Die Ufer sind mit Wasserpflanzen zugewachsen und es gibt Fische. Bringst du mir bei, wie man schwimmt?«

»Ich will es versuchen…«

Lion zog mich bereits hinter sich her und redete ohne Pause: »Ich hab meinen Vater gebeten, es mir zu zeigen, und er meinte, dass er keine Zeit habe. Ich glaube, er kann selber nicht schwimmen. Bei uns auf der Station gab es nur zwei Schwimmbecken, beide total winzig. Ich bringe dir auch etwas bei, willst du? Zum Beispiel, wie man sich bei niedriger Gravitation schlagen muss. Da gibt es eine spezielle Kampfart. Und wieso ist dein Gesicht voller Flecken, ist das auch eine Mutation oder eine Krankheit?«

»Das ist eine Allergie.«

»Ah, die hatte ich irgendwann auf Schokolade und Apfelsinen. Gemeinheit, oder? Warum gerade auf Schokolade und Apfelsinen und nicht auf Blumenkohl und Milch…« Gegen Abend war mir klar, dass ich einen neuen Freund gefunden hatte. An einem Tag konnte Lion natürlich nicht schwimmen lernen, aber am Ufer hielt er sich schon über Wasser. Wir sonnten uns und erklärten diese Stelle zu unserem gemeinsamen Stabsquartier, solange wir im Motel wohnen würden. Lion erzählte, dass es im Hotel noch drei Familien gäbe, die auf die Aufenthaltsgenehmigung warteten, aber in einer wären die Kinder noch ganz klein, in der zweiten gäbe es nur einen Säugling und in der dritten wäre der Junge eine dicke Rotznase, die mit niemandem reden wolle und immer ihrer Mama hinterherlaufen würde.

Wir brüsteten uns gegenseitig mit unseren Shunts — Lion hatte einen viel besseren, mit eingebautem Radio, sodass er sich nicht wegen jeder Kleinigkeit zu verkabeln brauchte. Im Gegenzug prahlte ich, dass ich als Modul auf einem Raumschiff geflogen sei, und Lion wurde echt sauer. Das war ein richtiges Abenteuer, nicht wie ein Flug zusammen mit Mama und Papa im Passagierraumschiff.

Seine Eltern lernte ich ebenfalls kennen. Es schien so, als ob sie sich über unsere Freundschaft freuten und es ihnen sehr leidtat, dass ich derartige Probleme mit der Erlangung der Neu- Kuweiter Staatsbürgerschaft hatte. Wir saßen an einem richtigen Lagerfeuer, ich wurde mit köstlichem Grillfleisch direkt vom Grill bewirtet, und danach versprachen sie, mich mit Lion in einigen Tagen mitzunehmen, um die Hauptstadt zu besichtigen. Seine Geschwister erwiesen sich als noch klein und dumm, aber sie wurden bald schlafen gelegt, sie störten uns fast nicht.

Als ich in mein Häuschen zurückkehrte, war es schon sehr spät. Eigentlich hatte ich darum bitten wollen, dass Lion mitkommen durfte — wir hätten noch weitergeschwatzt, aber ich traute mich nicht.

Und das war sicher auch gut so, denn als ich eintrat, leuchtete auf dem Videoscreen das Rufsignal.

Mein erster Gedanke war völlig absurd: Ich entschied, dass das Einwanderungsministerium meinen Antrag trotz allem bevorzugt behandelt hatte.

Es war jedoch Kapitän Stasj, der mich anrief. Als ich den Empfangsknopf drückte, erschien er fast sofort auf dem Bildschirm. Ziemlich niedergeschlagen und bedrückt.

Als er mich sah, verzog sich sogar unwillkürlich sein Gesicht.

»Wie geht es dir, Tikkirej?«

»Danke, es ist fast alles weg…«

Hatte er sich dermaßen Sorgen um mich gemacht?

»Kannst du jetzt gleich in mein Cottage kommen?«

Ich nickte.

»Dann los, ich warte.«

Meine Müdigkeit verflog sofort. Das Cottage war dasselbe wie meins. Nur dass Kapitän Stasj entschieden mehr Sachen besaß. An das Terminal waren zusätzliche Blöcke angeschlossen, sie verarbeiteten irgendwelche Informationen.

»Gut, dass du gekommen bist«, meinte Stasj ziemlich abwesend. »Hör mal, Tikkirej, möchtest du etwas dazuverdienen?«

Ich lächelte: »Ich möchte schon, aber ich darf nicht.«

»Wenn ich zahle, ist es möglich. Ich bin kein Bürger Neu- Kuweits, also fallen unsere Finanzbeziehungen nicht unter das Gesetz.«

»Wirklich?«

»Ich habe einen Juristen konsultiert.«

»Ich bin bereit!«, rief ich sofort.

Stasj drohte mir mit dem Finger: »Geh niemals auf irgendwelche noch so lockenden Angebote ein, ehe du nicht die Details geklärt hast! Verstanden?«

Ich nickte.

»Also, für mich ist es notwendig, dass du dich morgen von früh bis spät in der Nähe meines Cottage herumtreibst. In einiger Entfernung, aber so, dass du sehen kannst, wer sich ihm nähert.«

»Ist etwas passiert?«

»Ja… ich habe den Verdacht, dass irgendein Dieb versucht hat, hier einzubrechen. Oder es geschafft hat…«

Stasj fiel in Schweigen und schaute nachdenklich zum Terminal. Über den Bildschirm liefen ununterbrochene Ströme von Ziffern und Kleintext.

»Haben Sie etwa kein elektronisches Sicherungssystem?«, wollte ich wissen.

»Tikkirej… für jegliche Elektronik gibt es Blockiergeräte. Viel zuverlässiger ist ein Junge, der in der Nähe spielt.«

»Und was soll ich machen, wenn jemand…«

»Nichts! Absolut nichts! Versuch bloß nicht, Lärm zu machen oder näher heranzugehen. Schau hin und präge dir alles ein, Tikkirej! Am Abend berichtest du dann.«

»Gut«, gab ich mein Einverständnis.

Morgen wollte ich mit Lion wieder an den See gehen. Doch das war nur ein Spiel, und ich benötigte dringend Geld.

Lion würde das sicherlich verstehen…

»Wie viel zahlen Sie?«, erkundigte ich mich für alle Fälle.

»Was — wie viel? Ah…«, Stasj winkte ab, »ich zahle gut, mach dir keine Sorgen. Also, kann ich mich auf dich verlassen?«

»Ja, sicher«, erwiderte ich. Mir schien, dass Kapitän Stasj eine Art Phobie hätte und er sich Widersacher einbilden würde. Aber wenn er dafür bezahlte…


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