»Hm. Gut, ich werde euch nicht länger mit meinen altertümlichen Anweisungen stören.«

William umarmte Rosi und Rossi. Sein Lächeln war dabei dermaßen verschmitzt, dass sofort klar war: Er würde sich auch in zwanzig Jahren nicht für einen Greis halten.

»Papa, wir fahren«, sagte Rosi schnell.

»Der Sicherheitsblock im Auto ist eingeschaltet«, zählte William in der Zwischenzeit auf, »die Apotheke am Platz. Habt ihr alle eure Telefone mit? Vergesst nicht, euch anzuschnallen!«

»Okay, okay«, rief Rosi und hüpfte auf der Stelle. »Papa, du kommst noch zu spät!«

»Das Stück beginnt in anderthalb Stunden«, murmelte William.

»Aber das Theatercafé hat schon geöffnet«, meinte Rosi unschuldig und schaute in den Himmel.

Ihr Vater lächelte ziemlich gezwungen. »Was soll man da machen, die eigene Tochter jagt einen fort. Schönes Wochenende, ihr jungen Leute!«

Er tätschelte Rosi und Rossi die Wangen, reichte mir die Hand, und Lion wurde eines leichten Klapses auf den Hinterkopf für würdig befunden. Dann entfernte sich der tolerante Theaterkritiker.

»So ein Langweiler«, maulte Rosi, als ihr Vater gerade einmal zehn Meter entfernt war, »alle einsteigen!«

Ich hatte meinen Vater nie als Langweiler bezeichnet. Früher.

Aber ich machte keinen Versuch, das Rosi zu erklären, sie hätte es sowieso nicht verstanden.

»Komm, Lion«, sagte ich und nahm ihn an die Hand.

Das Auto war toll. Ein Jeep, nicht sehr groß, aber mit Automatik voll gestopft bis zum Gehtnichtmehr. Nun war mir klar, warum die Eltern keine Bedenken hatten, meine Freunde zum Picknick fahren zu lassen — im Jeep war ein Autopilot, der die Führung übernehmen würde, sollte Rosi etwas nicht richtig machen. Mit so einem Auto durften sogar Betrunkene fahren. Vielleicht hatte es William deshalb gekauft.

Ich setzte mich mit Lion auf den Rücksitz. Rosi und Rossi richteten sich vorne ein.

Während Rosi den Motor anließ — warum sie ihn überhaupt anlassen musste -, wandte sich Rossi zu uns um und sagte hämisch: »Habt ihr eine Vorstellung davon, zu welchem Stück unser Papachen gegangen ist? In die Weihnachtsgeschichte ›Heller Stern, klarer Stern‹. Das ist für die Allerkleinsten, darüber, wie das erste Umsiedlerraumschiff zum Avalon fast verunglückt wäre, und wie der liebe Gott es rettete und es glücklich landete!« Er kicherte.

»Na, na«, äußerte Rosi vorwurfsvoll und streifte ihn mit einem Blick, »jemand hat im vorigen Jahr vor Begeisterung geheult, als er dieses Stück angesehen hat!«

»Das stimmt nicht!«, protestierte Rossi. »Mir kamen die Tränen vor Lachen!«

»Das Raumschiff landete aber wirklich wie durch ein Wunder«, fuhr Rosi fort, »es war ja noch total primitiv, mit einem Atommotor. Es ist vier Monate durch den Zeittunnel geschlichen und der Brennstoffvorrat war falsch berechnet.«

Rossi verstummte. Er stritt sich ständig mit seiner Schwester über Religion. Rosi glaubte, dass es einen Gott gab, und Rossi stritt es ab, höchstens früher hätte es ihn gegeben, aber selbst dann hätte er sich schon seit langem zurückgezogen, sagte er.

Zwischenzeitlich erreichten wir die Schnellstraße. Rosi betätigte unbesorgt allerlei Schalter und das Dach wurde von innen her transparent. Von außen sah der Jeep jetzt einfarbig schwarz aus, aber wir konnten alles sehen wie auf einer offenen Plattform.

»Ja und, hast du Bier mitgebracht?«, erkundigte sich Rossi. Seine Schwester strömte beim Autofahren Energie aus und er brauchte offensichtlich eine Kompensation dafür.

»Habe ich«, erwiderte ich.

»Dann her damit!«

Ich überlegte kurz und entschied, dass es nicht schaden würde. Ich gab eine Flasche Rossi, eine Lion — er würde sicherlich probieren wollen — und nahm eine für mich.

Rosi streckte ihre Hand nach hinten aus.

»Du bekommst keine«, sagte ich, »du fährst.«

»Blödmann, hier ist doch alles voller Automatik!«, protestierte Rosi.

»Ich gebe dir trotzdem nichts. Ich habe deinem Vater versprochen, dass du am Steuer nichts trinkst.«

»Ha, ich habe mir gleich gedacht, dass er dich gehört hat!«, attackierte Rosi ihren Bruder. »Hast ja auch so laut gesprochen, dass man es in der ganzen Wohnung hören konnte! Lass mich mal trinken!«

Rossi schraubte den Verschluss ab, trank den ersten Schluck, lächelte selig und meinte: »Nö, du fährst, Tikkirej hat Recht. Er ist erwachsen und wir müssen auf ihn hören.«

»Na warte!«, drohte ihm Rosi. Sie fuhr mit ihrer Hand in die Jacke und holte eine kleine, flache Flasche, einen Flachmann, hervor. Rossi fielen fast die Augen aus dem Kopf:

»Das ist doch Mamas!«

»Überhaupt nicht Mamas, sondern meine. Mama hat ihre vorige Woche irgendwo verloren.«

Rosi drehte sich um und zwinkerte mir zu. »Voller Cognac, stell dir das vor!«

»Rosi, nicht!«, bat ich.

Sie hätte bestimmt auf mich gehört. Ich sah es ihren Augen an, dass sie schwankte und den starken Cognac eigentlich gar nicht trinken wollte. Aber da sagte Rossi hinterhältig: »Hör auf das, was die Älteren sagen!«

Rosi schraubte augenblicklich den Verschluss ab und nahm einen Schluck. Ihre Augen wurden immer größer, und ich erwartete, dass sie das Lenkrad loslassen würde und die Automatik übernehmen müsste.

Sie aber verschloss die Flasche, schob sie wieder in die Manteltasche und schaute auf die Straße. In dieser Zeitspanne hätte wir gut zehnmal im Straßengraben landen oder auf die Gegenfahrbahn abkommen können, doch der Autopilot verhinderte das.

»Du hast was drauf, Alte!«, rief Rossi begeistert. »Tikkirej, schau dir das an! Ohne etwas dazu zu essen!«

»Und nichts ist passiert«, meinte Rosi heiser.

Das war natürlich Blödsinn. Wir hatten zwar keinen Unfall gebaut, aber ihr würde schlecht werden!

»Rosi, das reicht dann aber bitte«, sagte ich, »ich weiß zwar, dass es einen Autopiloten gibt, aber ich hab trotzdem Angst.«

»Okay, ich höre auf«, stimmte Rosi bereitwillig zu.

Nach etwa zehn Minuten waren wir alle fröhlich. Sicherlich wegen des Alkohols. Rossi öffnete das Fenster auf seiner Seite und begann allen Autos, die wir überholten, zuzuwinken. Lion saß still da, trank von Zeit zu Zeit einen Schluck Bier, und mir schien, dass ihm der Ausflug auch Spaß machte.

»Wir fahren an den See«, entschied Rosi, »ja? Dort ist eine Feuerstelle mit Bänken. Wir picknicken dort.«

Sie sprach etwas lauter als gewöhnlich, hielt sich aber erstaunlich gut. Ich hatte sogar den Verdacht, dass Rosi nicht zum ersten Mal Cognac getrunken hatte.

»Ja«, bestimmte Rossi, »das ist cool! Wir grillen Bratwürste!«

Ich diskutierte nicht. Noch nie im Leben war ich auf einem Picknick gewesen und hatte keine Vorstellung davon, wo und wie man es am besten organisiert.

Bald darauf bogen wir von der Schnellstraße in einen engen Weg ein, wo es sogar Straßenlaternen gab. Dann folgte ein richtiger Holperweg, eine unbefestigte Straße. Rossi erläuterte, dass es verboten war, im Wald normale Straßen zu bauen, um das Ökosystem nicht zu schädigen.

Dem Jeep war es egal, ob Beton, Erde oder Schnee unter den Rädern war. Wir kamen voran, Rosi lenkte eifrig, und wenn sie Acht gab, mischte sich der Autopilot auch nicht ein. Kurz darauf erschien der See.

Ich pfiff vor Überraschung, so schön war es!

Unter der Kuppel hatten wir einen Fluss, der im Kreis herum floss und nur an einer Stelle unterirdisch verlief. Es gab auch einen kleinen See.

Aber das alles war nicht natürlich, sondern von Menschen geschaffen. Und wenn der Fluss auch richtige Ufer und der See eine unregelmäßige Form hatte, man merkte doch, dass sie künstlich angelegt waren.

Hier dagegen war der See fast rund. Und trotzdem natürlich! Auch die alten Bäume am Ufer hatte niemand angepflanzt, sie wuchsen wild: Bäume von der Erde, die sich angepasst hatten, und Überreste der einheimischen Flora. Hier lebten bestimmt auch richtige Tiere: Mäuse, Hasen und Füchse. Und Schnee lag nicht etwa auf den Zweigen, weil die Administration der Kuppel vor den Wahlen beschlossen hatte, allen ein echtes Neujahrsfest zu bescheren, die Temperatur herunterfuhr und die Beregnungsanlagen auf volle Auslastung stellte.


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