Lion schwieg eine Sekunde und schaute mich an. Dann sagte er sehr ernsthaft: »Halt die Klappe!«

Wenn nicht die Schlange gewesen wäre, hätte ich jetzt die Hand geöffnet und wäre wieder untergetaucht. Vor Überraschung.

»Fass mich an«, sagte Lion und reichte mir seine Hand, »und leg dich aufs Eis. Ganz flach.«

Wie im Schlaf streckte ich ihm meine Hand entgegen, erfasste die seine — und Lion zog mich langsam hinter sich her. Ich konnte mich kaum bewegen, blieb aber auf der Oberfläche liegen.

Und hier half mir die Schlange. Ich habe keine Ahnung, wie sie sich am Eis festhielt, wie sie sich ins Eis bohrte — aber sie zog mich genau so, wie es nötig war: stetig und kräftig.

Dann lag ich ganz auf dem Eis. Mit den Schuhspitzen hing ich noch im Wasser, aber das Eis hielt mich.

»Kriechen wir los«, sagte Lion, »schneller.«

Schneller konnte ich nicht. Aber wir kamen trotzdem vorwärts — weiter und weiter, weg von der Einbruchstelle. Die Schlange half mir auf den ersten Metern und zog sich dann in den Ärmel zurück.

Wir krochen so lange, bis wir an die Beine von Rosi und Rossi stießen. Die Zwillinge standen noch immer am Ufer und hatten Angst, auch nur einen Schritt aufs Eis zu machen — obwohl der See dort bis zum Grund gefroren war.

»Tikkirej…«, sagte Rosi erleichtert und verschmierte ihre Tränen im Gesicht. Sie hielt ein Handy in der Hand — offensichtlich hatte sie Hilfe gerufen. Wenigstens darauf war sie gekommen.

Rossi lief nach wie vor hektisch hin und her. Erst versuchte er näher zu kommen, dann machte er einen Schritt zurück.

Ich wandte mich um und schaute auf Lion. Er atmete heftig und leckte sich die Lippen.

»Ist alles okay?«, fragte ich.

»Ja.«

»Lion, du bist ganz normal!«

»Hm«, er lächelte plötzlich, »Tikkirej, bist du etwa mit Absicht eingebrochen?«

Ich fühlte mich wie in einem Kühlschrank. Alle Sachen waren nass und es war Frost. Aber ich spürte die Kälte nicht.

»Nein, nicht mit Absicht«, erwiderte ich. »Aber ich wäre hineingesprungen, wenn ich gewusst hätte, dass das passiert.«

Irgendwie schaffte ich es, mich aufzurichten. Ich half Lion aufzustehen.

Da endlich sprang Rossi auf uns zu, fasste mich an der Hand und rief: »Das hast du prima gemacht, wir werden allen erzählen, dass du ein richtiger Held bist!«

»Und du bist ein Feigling«, sagte ich und lief auf steifen Beinen zum Pavillon. Der Jeep wäre besser gewesen, darin war es wärmer. Aber ich wollte mich jetzt nicht in ihr Auto setzen.

»Tikkirej«, rief mir Rossi kläglich nach, »du bist doch selbst schuld, dass du eingebrochen bist!«

Ich antwortete nicht, sondern sprang in den Pavillon und zog meine nassen Kleider aus. Lion lief hinterher und fragte: »Hast du etwas Trockenes?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Gleich…«

Er wollte schon zurückgehen, aber in diesem Augenblick kam Rossi herein. Voller Scham, mit nassen, roten Augen, den Kopf eingezogen. Er rief: »Tikkirej, da kommt ein Flyer!«

»Zieh deine Kombination aus, du Dämel!«, schrie ihn Lion an. Rossi erstarrte und zwinkerte heftig. Er konnte nicht begreifen, dass Lion normal sprach.

»Hä?«

»Ich poliere dir gleich die Fresse!«, versprach Lion kämpferisch. »Zieh sofort deine Kombination aus!«

Rossi beeilte sich mit dem Ausziehen. Unter der Kombination trug er noch einen warmen Strickanzug. Ich zog mich nackt aus und schlüpfte schnell in Rossis Kombination. Es war schon widerlich, dass mir dieser Feigling half, aber ich konnte ja nicht bei lebendigem Leibe erfrieren! Ich war ja kein Eisbader!

»Hol den Cognac von deiner Schwester und bring ihn her!«, kommandierte Lion Rossi weiter herum. Und der verließ gehorsam den Pavillon. Ich setzte mich auf die Bank und umfasste meine Schultern mit den Händen. Ich zitterte am ganzen Leib. Die Wärme wollte überhaupt nicht in den Körper zurückkehren. Die Schlange bewegte sich unruhig am Arm. War sie von den Zwillingen bemerkt worden oder nicht? Und wenn sie sie bemerkt hatten, verstanden sie dann, worum es sich handelte?

»Tikkirej, ich gieße dir Tee ein.« Lion machte sich an der Thermoskanne zu schaffen.

Wie war er nur darauf gekommen, sich hinzulegen und auf dem Bauch zu kriechen? Das wird ja wirklich so gemacht, ich hatte es in einem Film gesehen, in dem ein Mensch gerettet wurde, der durchs Eis gebrochen war. Danach gab man ihm heißen Tee und Cognac zu trinken.

Irgendwo ganz in der Nähe des Pavillons landete ein Flyer. Über die matten Gardinen huschte ein Schatten und sie erzitterten im Windstoß. Nach einigen Minuten kam noch eine andere Maschine herunter, doch etwas weiter entfernt.

»Da ist also die ›Schnelle Hilfe‹«, murmelte ich. Was sollte ich jetzt mit dem Schlangenschwert machen? Man würde mich ins Krankenhaus bringen, untersuchen, in eine heiße Wanne stecken, was bestimmt alles richtig wäre. Aber dabei würden sie die Schlange bemerken! Sie Lion geben? Das würde bedeuten, ihn in mein Verbrechen hineinzuziehen. Das ging auch nicht…

Für einen Augenblick schaute Rossi durch den Vorhang herein und reichte Lion den Flachmann. Dieser nahm ihn schweigend entgegen, schüttete Cognac in den Tee und reichte ihn mir. Ich trank ihn in einem Zug aus.

Oho! Ich hätte niemals geglaubt, dass Alkohol so guttun könnte!

»Was wird jetzt passieren?«, flüsterte ich. Ich richtete meine Augen auf Lion und sagte: »Aber dafür bist du wieder gesund! Wie kam es nur dazu, Lion?«

»Als ob…«, begann Lion. Aber in diesem Augenblick wurde der Vorhang am Eingang des Pavillons zurückgezogen und Stasj trat ein. Weiter entfernt, hinter seinem Rücken, trieben sich Rosi, Rossi und noch irgendwelche Leute herum.

»Stasj…«, staunte ich. Ich hatte keine Ahnung davon, dass er auf Avalon war.

»Wen hättest du denn gern gesehen? Den Imperator?«, erwiderte der Ritter vom Avalon auf die ihm eigene Art. Er kam zu mir, befühlte die Kombination und nickte zufrieden. Er beschnupperte die Kaffeetasse und nickte nochmals.

»Stasj…«, wiederholte ich.

»Ist noch Cognac da?«, antwortete Stasj mit einer Gegenfrage. »Ich gehe davon aus, dass es sich nicht lohnt, die Mediziner hinzuzuziehen, aber eingerieben werden musst du.«

»Hier«, Lion reichte ihm den Flachmann, »er scheint gut zu sein.«

»Oho!« Stasj schaute eine Sekunde fragend auf Lion und schüttelte dann den Kopf. »Okay, danach. Zieh die Kombination aus! Erfrorene Finger und Zehen wieder zum Leben zu erwecken ist eine langwierige, aber notwendige Beschäftigung.«

»Stasj«, wiederholte ich zum dritten Mal. Und merkte, dass ich losheulte. »Stasj, ich habe so etwas Schlimmes angestellt… Ich brauche jetzt keine Einreibungen.«

»Meinst du die gestohlene Peitsche?«, erwiderte Stasj. »Ich habe aus diesem Grund den Ärzten verboten hereinzukommen. Gerüchte wären das Letzte, was wir jetzt brauchen.«

Er neigte sich über den Cognac, lächelte, schüttelte den Flachmann und meinte danach:

»Lion, sei ein Freund, lauf zu den Ärzten und hol von ihnen eine Flasche Alkohol. Diesen Cognac für Einreibungen zu nehmen, das wäre ein Verbrechen gegen die Weinkultur.«

»Wird gemacht!«, rief Lion und lief los.

Ich sah Stasj in die Augen und fragte: »Komme ich jetzt ins Gefängnis? Wegen der Peitsche?«

Der Ritter vom Avalon holte tief Luft. »An wen wolltest du sie weitergeben, Tikki? Oder wolltest du sie einfach verkaufen?«

»Verkaufen?«, erwiderte ich verwirrt. »Stasj, sie hat sich mir angeschlossen. Ich konnte sie nicht in den Utilisator werfen! Das wäre ja wie Mord!«

»Tikkirej, diese Peitsche wird schon vier Jahre lang für die Zuverlässigkeitsüberprüfung neuer Mitarbeiter benutzt«, Stasj trank den Cognac aus und stellte die Flasche vorsichtig vor sich auf den Tisch, »der Block für das Imprinting ist bei ihr vollkommen entstellt, sie kann sich an niemanden anschließen.«

Ich versuchte gar nicht erst zu antworten, streckte ganz einfach die Hand aus — und die Schlange kroch aus dem Ärmel, wobei sie die winzige Plasmakanone herausgefahren hatte.


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