Das machte Eindruck! Stasj zuckte zusammen und seine eigene Peitsche schnellte heraus, bereit zum Kampf.
»Das gibt es doch gar nicht!«, sagte der Phag verdutzt und schaute auf die Waffe, die sich an mich gebunden hatte.
Lion kam mit einem durchsichtigen Flakon zurück.
»Komme ich ins Gefängnis?«, fragte ich wieder. »Oder muss ich den Planeten verlassen?«
»Mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher«, erwiderte Stasj. »Lion, Junge, ist das reiner Alkohol? Oder ist das eine Lösung zum Einreiben?«
»Sie wollten mir eine Lösung geben, aber ich habe reinen Alkohol verlangt«, erwiderte Lion.
»Bist du etwa von Natur aus so verständig?«, erkundigte sich Stasj und öffnete den Flakon. »Tikkirej, jetzt wirst du das ekelhafteste von allen alkoholischen Getränken schlucken müssen. Ich hoffe, dass es dir auf lange Zeit die Lust nimmt, Alkohol zu trinken.«
Ich nickte. Ich war zu allem bereit.
Kapitel 3
Stasj hatte die Heizung auf volle Kraft gestellt und mittlerweile war mir regelrecht heiß. Ich lag auf dem Sofa, eingewickelt in eine Decke, und hörte dem Phagen zu. Mir war immer noch schwindlig und im Mund hatte ich einen ekelhaften Beigeschmack. Noch schien mir alles so lustig wie in einem Trickfilm zu sein. Es drängte mich danach, die Augen zu schließen und zu träumen. Das kam vom Alkohol… Im Flyer war ich sowieso eingeschlafen.
»Unsere Organisation ist ein offenes System«, erklärte Stasj leise. »Wir nehmen bei uns Leute von den verschiedensten Planeten des Imperiums auf. Aber jeder, sei es ein Hausmeister oder ein Lagerarbeiter, wird verschiedenen Überprüfungen unterworfen. Das ist unumgänglich, verstehst du, Tikkirej?«
Ich nickte träge.
»Gegen dich gab es keine Einwände«, fuhr Stasj fort, »deine Legende wurde vollständig überprüft. Es stellte sich heraus, dass alles stimmte, dass du wirklich der 13-jährige Junge Tikkirej vom Planeten Karijer bist, der zwei Flüge lang als Modul auf dem Raumschiff Kljasma gearbeitet hat. Deine Geschichte ist unglaublich. Aber wir sind an unglaubliche Geschichten gewöhnt. Der Psychotyp eines jeden Phagen enthältgezwungenermaßeneinegewaltigeDosis Sentimentalität.« Er lachte auf. »Anderenfalls würden wir uns in eine Bande selbstgerechter Mörder verwandeln.«
»Gibt es denn auch sentimentale Mörder?«, fragte Lion leise. Er saß neben Stasj im anderen Sessel.
»Nur im Kino«, schnitt ihm Stasj das Wort ab. »Tikkirej, niemand hat übermäßig an dir gezweifelt. Aber es gibt Standardmethoden der Zuverlässigkeitsprüfung. Du hast sechs Tests bestanden. Beim siebten bist du durchgefallen. Da ich dich eingeführt hatte, wurde mir das unverzüglich mitgeteilt.«
»Stasj, was hätte ich denn machen sollen?«, fragte ich. »Ich hatte doch nicht geahnt, dass die Peitsche eine Überprüfung war! Ich dachte, dass sie sich mir angeschlossen hatte und sie jetzt getötet werden würde. Ich bin doch kein Ritter. Ich hab kein Recht, eine Waffe zu tragen!«
»Sie hat sich dir wirklich angeschlossen«, stimmte Stasj zu. »Niemand hatte das erwartet, Tikkirej. Und was jetzt geschehen wird, weiß ich auch noch nicht. Das ist ein ganz spezifischer Vorfall, es gibt keine Präzedenzfälle.«
Ich schwieg.
»Lassen wir das, darüber wird später entschieden werden«, meinte Stasj. »Lion, jetzt muss ich mit dir reden.«
»Ja?« Lion hob seinen Kopf.
»Erzähl mir alles, von Anfang an«, bat Stasj, »seit dem Moment, in dem… wie man dich… wie du…« Er fand nicht die treffenden Worte. »Von dem Moment an, als dich die Waffe des Inej traf.«
Lion überlegte einen Moment. »Ich wollte schlafen. Wollte einfach nur schlafen.«
»So«, ermutigte ihn Stasj. »Übrigens, ich mache dich darauf aufmerksam, dass das ein offizielles Gespräch ist und mitgeschnitten wird.«
Lion nickte. »Aha, ich verstehe. Wir wollten uns sowieso schlafen legen, und da wälzte sich irgendetwas auf uns. Mein Schwesterchen wurde sofort ganz still, und mich haute es um. Ich zog mich aus und legte mich hin.«
Stasj wartete.
»Dann habe ich geträumt«, fuhr Lion leise fort.
»Was für Träume? Erinnerst du dich?«
»Eigenartige. Aber schöne.« Lion wurde auf einmal rot.
»Erzähl nur, du brauchst dich nicht zu schämen«, bat Stasj sanft. »Was hast du geträumt?«
»Na, irgendwelche Dummheiten«, Lion warf den Kopf zurück. »Allen möglichen Blödsinn, Ehrenwort!«
»Lion, das ist wichtig, Verstehst du, bei Jungs in deinem Alter gibt es so manche und ganz verschiedene aufregende Träume…«
Lion begann zu lachen: »Aber nein, Sie haben mich missverstanden! Ich habe davon geträumt…«, er stockte kurz, »also, zum Beispiel, dass ich ein Held bin. Können Sie sich das vorstellen? Ein echter Held, ein Retter des ganzen Weltalls. Dass ich mit irgendwelchen Bösewichten kämpfe, auf der Straße laufe, einer langen dunklen, die Häuser sind halb zerstört und überall wird geschossen. Und ich schieße zurück und habe überhaupt keine Angst, im Gegenteil. Als ob das ein Spiel wäre… Nein, ein Spiel — das ist nicht ernst zu nehmen. Aber im Traum war alles äußerst wichtig!«
»Aha…«, staunte Stasj, »ach so…«
»Außerdem habe ich noch geträumt, dass ich in einer Fabrik arbeite«, fuhr Lion fort. »Wir haben dort irgendetwas gebaut. Im Traum habe ich alles verstanden, und jetzt — schon nicht mehr. Wir haben dort lange gearbeitet.«
»Wir?«
»Ich und noch andere Leute.« Lion zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, Tikkirej war auch dort. Und noch unsere Kumpel von der Raumstation. Gute Freunde. Wir haben irgendetwas gebaut…« Er dachte wieder nach. »Ich war Ingenieur… oder Techniker, ich erinnere mich nicht mehr. Oder beides.«
Stasj schwieg.
Lion aber kam in Fahrt und fuhr mit seiner Erzählung fort. »Und außerdem habe ich geträumt, dass ich erwachsen bin.«
»In den vorhergehenden Träumen warst du ein Kind?«, fragte Stasj schnell.
»Nein. Ich erinnere mich nicht. Es kann sein, dass ich auch erwachsen war. Ich weiß es nicht. Aber jetzt war ich wirklich erwachsen. Ich hatte eine Frau und fünf Kinder.«
Ich kicherte. Aus unerfindlichen Gründen fand ich das sehr unterhaltsam.
»Tja, das war lustig«, stimmte Lion zu. »Ich hatte eine Frau und erörterte mit ihr, wie der Haushalt zu führen sei und wohin wir in den Urlaub fahren würden. Und den Kindern half ich bei den Hausaufgaben und spielte mit ihnen Baseball. Und die Tochter…«, er zog die Stirn in Falten, »nein, ich kann mich nicht an ihren Namen erinnern, heiratete. Sie hatte auch viele Kinder. Und meine anderen Kinder auch. Und danach… Danach… Danach wurde ich alt und starb. Alle kamen zu meiner Beerdigung und sprachen darüber, was ich doch für ein bemerkenswerter Mensch gewesen wäre und was ich für ein gutes Leben gelebt hätte.«
»DU BIST IM TRAUM GESTORBEN?«, fragte Stasj und hob jedes einzelne Wort hervor.
»Ja.«
»Du bist gestorben und warst tot?«
»Na klar, ich erinnere mich sogar an die Beerdigung!«, erwiderte Lion erstaunt.
»Hattest du Angst?«
»Nein… Überhaupt nicht. Ich habe doch verstanden, dass es nur ein Traum war!«
»Die ganze Zeit über?«
»Ja. Die ganze Zeit über. Ich habe sogar einiges mitbekommen, was um mich herum passierte. Wie ihr mich hochgenommen und in eine Decke eingewickelt und getragen habt. Wie wir durch die Stadt gefahren sind; dort waren in den Fenstern Bildschirme und auf ihnen feierten die Leute… Und danach wurde ich an einen Computer angeschlossen und die Träume hörten auf.«
»Alle Träume verliefen so schnell? Bis zum Zeitpunkt deines Onlineanschlusses im Raumschiff?«
»Ja.«
»Dann ist es nicht verwunderlich, dass dein Gehirn dermaßen intensiv gearbeitet hatte. Lion, verstehst du, dass es sich hierbei um die Einwirkung einer psychotropen Waffe gehandelt hat?«
»Das ist logisch«, stimmte Lion zu, »aber mit welchem Ziel? Mir ist doch nichts geschehen!«
»Was passierte danach?«, fragte Stasj.