»Mensch…!«, flüsterte Lion.
Die Sterne schienen hier noch hell und strahlend. Die Kapsel bewegte sich gleichmäßig, ohne Schütteln. Aber wir spürten deutlich, dass wir uns schon nicht mehr auf der Umlaufbahn, sondern im Landeanflug befanden.
»Schwerelosigkeit ist prima, stimmt’s?«, fragte Lion.
Ich antwortete nicht. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass Schwerelosigkeit eingetreten war, dass wir in unserer winzigen Eishöhle schwebten, nur mit lächerlichen Grasbändern festgeschnallt. Ich sah auf das Raumschiff der Phagen, das zielstrebig vorwärts und nach unten flog. Das war ein starkes und sicheres Schiff…
»Tikkirej!«
»Was ist?«
»Hey, schläfst du?« Lion drehte sich um und schaute mir in die Augen. »Sieh nur, echt cool! Da ist die Sonne!«
»Welche Sonne?«
»Die von der Erde, wo alle Menschen herstammen… Da, schau doch mal!«
Ich sah hin. Ein ganz gewöhnlicher Stern, nichts Besonderes.
»Ich möchte mal zur Erde«, sagte Lion. »Ich sehe mir unbedingt Australien, Shitomir und London an. Und außerdem möchte ich auf den Edem… Da, schau doch mal, das ist dort… Nein, er ist nicht zu sehen, ist hinter dem Horizont… Und wo ist der Avalon, kannst du ihn erkennen?«
Es war klar, dass er sich doch etwas fürchtete und deshalb ohne Unterbrechung sprach. Das sagte ich natürlich nicht laut, und fünf Minuten lang schauten wir uns Sternbilder an und erörterten, welche Planeten uns und welche den Fremden gehörten. Die Sonne von Neu-Kuweit stieg indessen höher und höher, wir mussten die Augen zusammenkneifen vor diesem grellen Strahlen, das sich über die Kapsel ergoss. Ich fand, dass uns Sonnenbrillen nicht geschadet hätten. Aber auch die Phagen können eben nicht an alles denken.
»Siehst du, dass wir gewendet haben?«, stieß Lion aufgeregt heraus. »Die Atmosphäre bremst… Wir sind jetzt circa fünfzig Kilometer hoch… Nein, noch höher…«
»Schaffen wir es wirklich, zu landen?«
»Das schaffen wir!«
Jetzt flog die Kapsel mit dem Boden nach vorn. Das Eis auf der Unterseite der Kapsel trübte sich ein und schmolz. Das unerträgliche Sonnenlicht wurde schwächer, so als ob es durch mattes Glas gedämpft würde.
Vielleicht denken die Phagen wirklich an alles.
Die Schwerelosigkeit verschwand genauso unmerklich, wie sie auf getreten war. Wir wurden auf die Matten gedrückt. Zuerst schwach, dann genau wie auf einem normalen Planeten.
»Es wächst bis vier ›g‹ an«, teilte Lion mit. Warum er das sagte, war nicht nachvollziehbar, denn ich wusste es ja selbst. Wir hatten einen Belastungstest durchgeführt.
»Wenn es doch schon zu Ende wäre…«
»Die Belastung?«
»Nein, die Landung!«
Der Druck wurde immer stärker. Dann fühlte ich eine leichte Vibration. Das Licht wurde heller, aber es war kein Sonnenlicht mehr, sondern ein in das Auge stechender rötlicher Glanz.
»So, jetzt sind wir in die Atmosphäre eingetaucht«, flüsterte Lion.
Ich drehte den Kopf und schaute auf den Boden der Kapsel. Er war völlig trüb, aber trotzdem konnte man eine Flamme erkennen, die wie ein luftiges Feuerkissen vor uns tanzte. Die Flamme breitete sich aus, schloss die Kapsel ein und flackerte.
Hinter uns entfernte sich ein kurzer Feuerschweif.
»Und das… das wird nicht geortet?«, fragte ich. Mich gruselte es. Nur ein halber Meter tauendes Eis trennte uns von einer Plasmawolke!
»Eigentlich nicht, wir haben speziell für die Landung die Zone des Morgenrots ausgesucht«, antwortete Lion. »Die Sonne hier ist aktiv… Es gibt oft Störungen auf dem Radar und visuell kann man es auch nur sehr schwer feststellen…«
Das Licht begann zu verblassen und die Schwerelosigkeit kam wieder. Das war das erste Eintauchmanöver — wir schlitterten über die Atmosphäre, verloren dabei an Geschwindigkeit, prallten ab wie ein flacher Stein von der Wasseroberfläche und fielen wieder nach unten.
»Beklemmend«, bekannte ich und war über meine eigenen Worte erstaunt. »Lion, hast du überhaupt keine Angst?«
Er antwortete nicht sofort, murmelte aber dann: »Ein wenig schon…«
Um die Kapsel loderte erneut eine Flamme. Dieses Mal wurden wir stärker durchgeschüttelt, die Kapsel vibrierte wie ein altes Auto auf einer schlechten Straße, der Druck wurde stärker.
Erneut schlüpfte die Kapsel für einige Minuten aus der Atmosphäre und bereitete sich auf das nächste »Eintauchen« vor.
»Tikkirej…«, Lion drehte sich zu mir. »Weißt du, woran ich jetzt gedacht habe? Wenn ich meine Eltern wiederfinde… zu ihnen gehe… erkennen Sie mich womöglich nicht.«
»Wieso denn das?«
Er lachte auf, sein Gesicht war ohne jede Freude.
»Mein Traum ist vorbei, und ich weiß, dass es nur ein Traum war. Aber sie? Vielleicht glauben sie, dass dieser Traum Wirklichkeit ist? Dann sind sie davon überzeugt, dass ihr Sohn Lion schon lange erwachsen ist und werden mir sagen: ›Junge, du bist sicherlich krank.‹«
»Eltern sagen so etwas niemals.«
»Glaubst du?«, fragte Lion skeptisch.
»Sicher.«
»Aber sie haben doch eine Gehirnwäsche erhalten…«
»Trotzdem.«
Ich bemühte mich überzeugend zu wirken. »Es könnte sein, dass dich dein Brüderchen nicht erkennt. Oder dein Schwesterchen. Aber deine Eltern werden dich erkennen.«
Lion schien sich zu beruhigen. Er legte sich bequemer hin — der Druck nahm wieder zu. Er sagte:
»Die Kleinen können doch nicht dasselbe geträumt haben. Wie hätten sie das denn verstehen sollen? Also müssen sie ihren eigenen Traum gehabt haben. Einen Kindertraum. So einen mit allen möglichen Tieren, mit Abenteuern für Kinder… Ihr Programm war sicherlich in Trickfilmen versteckt.«
»Den müsste man finden, der das alles ausgeheckt hat«, murmelte ich.
»Und ihm den Kopf abreißen! Wir werden ihn finden«, versprach Lion blutrünstig. »Hauptsache, wir landen erst einmal…«
Er hatte auch Angst.
Das dritte Eintauchen in die Atmosphäre war das letzte. Jetzt hatten wir ernsthaft unter der Fallbeschleunigung zu leiden, ein Gespräch war unmöglich. Die Luft um die Kapsel verwandelte sich in einen riesigen Feuerball. Die Kapsel wurde geschüttelt und knisterte, Eis wurde abgetrennt… jetzt wurden die überflüssigen Teile herausgeschmolzen, um Flügelkörper zu bilden. Ich wusste das, aber mir war ganz mulmig.
Endlich erlosch das Feuer, der Druck wich von uns und wir sahen unter uns den Planeten. Schon genau so wie aus einem Flugzeug. Die Kapsel glitt durch die Luft, senkte sich allmählich, drehte sich jedoch noch immer nicht um die eigene Achse.
»Wir sind noch zu hoch«, nahm Lion an, der erriet, woran ich dachte. »Oder…«
Ich erfuhr nicht, was das »Oder« bedeuten sollte. Wir hatten Glück. Lion richtete sich auf und betrachtete die Oberfläche durch die Seitenwände, nicht durch den verdunkelten Boden. Die Kapsel schaukelte und fing an sanft zu kreisen.
»Hurra!«, rief Lion. »Es hat geklappt!«
Unsere Kapsel war längst nicht mehr die akkurate Linse wie zuvor. Von oben und von unten war ein Teil des Eises weggeschmolzen, verdampft, sodass ihre Form jetzt sehr an einen Kleesamen erinnerte. Und in diesen Eisflügelchen drehten wir uns jetzt immer schneller.
Zuerst war es lustig. Die Welt herum drehte sich, die Sonne kreiste am Himmel über uns, das gleichmäßige Rauschen der Luft übertönte unsere fröhlichen Schreie.
Dann wurde uns schlecht. Wir flogen an entgegengesetzte Enden der Kabine und wurden an die Wand gedrückt.
»Mach die Augen zu!«, schrie Lion.
Ich schloss meine Augen. Trotzdem war es ekelhaft. Die Zentrifugalkraft drückte schlimmer auf uns als bei der Landung. Und außerdem wurde uns übel… ich hielt es aus, solange ich konnte. Dann hörte ich, wie sich Lion erbrach, und konnte es selbst nicht mehr zurückhalten. Ein Glück, dass wir gestern einen halben Tag nichts gegessen hatten. Aber im Mund spürte ich einen ekelhaft sauren Geschmack.
Es war wie auf einem außer Kontrolle geratenen Karussell… Vor zwei Jahren war ich mit Freunden auf dem Rummel. Unsere Klasse hatte damals den Mathematikwettbewerb der Stadt gewonnen, alle bekamen Freikarten für die Karussells. Auf dem Rummel gab es wenige Besucher. Wir liefen sofort zum interessantesten Karussell, dem »Himmelsschiff«, das sich nach oben, unten und um die eigene Achse drehte, sodass man zwanzig Meter nach oben flog — und dann mit fürchterlicher Geschwindigkeit kopfüber nach unten fiel. Dabei rechnete man jeden Augenblick damit, dass der Kopf auf dem Betonboden zerschellte. Ein ganz Schlauer, eventuell sogar ich, hatte die Idee, den Betreiber des Karussells darum zu bitten, uns länger fahren zu lassen. Der lachte auf und befahl allen, sich anzuschnallen…