Ich stellte mir das mit den Würmern genauer vor und erwiderte schnell: »Okay, ich kümmere mich um die Zweige.« Es war nicht weiter schwer, die Zweige für die Hütte zuzuschneiden.

Wieder half die Landebahn der Kapsel, die sich mittlerweile in einen nassen Fleck verwandelt hatte. Ich holte einen Berg Zweige und begann neben dem Lagerfeuer eine Hütte zu bauen. Es gelang mir gar nicht so schlecht. Ich hatte nicht die Absicht, Lion so schnell zu rufen. Sollte er sich ruhig davon überzeugen, dass Angeln doch keine so einfache Sache ist. Aus unerfindlichen Gründen stellte ich mir vor, dass es mir besser gelingen würde, Fische zu fangen.

Lion erschien nach einer halben Stunde. In den Händen hielt er zwei große Fische, jeder rund anderthalb Kilo schwer.

»Nicht schlecht!«, meinte ich trocken.

Die Fische wanden sich und schlugen mit den Schwänzen. Lion schaute skeptisch auf seinen Fang, hielt ihn aber kräftig fest.

»Reicht das fürs Erste?«

»Sicher«, bestätigte ich. »Hast du sie mit Würmern gefangen?«

»Nein, ich habe es zuerst mit Ultraschall versucht. Es hat geklappt.«

»Du bist mir ein Freundchen…«, erwiderte ich und schaute auf sein zufriedenes Grinsen. »Also, dann fang an, sie fertig zu machen.«

»Wie?«

»Du musst den Fischen die Köpfe abschneiden, dann den Bauch aufschlitzen und sie ausnehmen, mit nassem Lehm einschmieren und ins Feuer legen.«

Lion erbebte.

»Hilfst du mir denn nicht dabei?«

Ich schüttelte den Kopf. Wir schauten traurig auf die unglücklichen Fische, die lautlos ihre Mäuler öffneten und schlossen. Ihre Schuppen schienen stumpf, die Augen trübe geworden zu sein.

»Da hinten steht ein Nussbaum«, meinte Lion. »Wenn man ein Stück am Ufer entlanggeht. Nüsse sind sehr nahrhaft, stimmt’s?«

Ich nickte. Wir waren noch nicht hungrig genug, um unsere Nahrung wie die Urmenschen zu erbeuten.

»Gehen wir!«, sagte ich. »Und die Fische lassen wir frei. Sie erholen sich im Wasser bestimmt wieder.«

»Und allen anderen sagen wir, dass sich Spinningangeln nicht lohnt«, wieherte Lion. »Komm. Du hast eine gute Hütte gebaut.«

Ich wandte mich um und betrachtete die Hütte. Sie schien mir nicht besonders gelungen, war zu klein und schief. Ein starker Wind wirft sie um, und wasserdicht ist das Dach auf keinen Fall, dachte ich.

»Danke«, erwiderte ich. »Wir bessern sie noch nach. Wir müssen noch viel lernen.«

Die Fische ließen wir gleich am Ufer ins Wasser, einer verschwand sofort in die Tiefe, der andere verharrte an seinem Platz, bewegte aber die Kiemen und erholte sich wieder.

Wir gingen Nüsse sammeln. Sie waren reif und schmeckten gut. Eine volle Stunde verbrachten wir in den Büschen, aßen uns satt und nahmen noch einen Vorrat mit. Wir würden ja kaum Nüsse pflücken, wenn es dunkel wäre.

»Wir müssen trotzdem lernen, Fische zu fangen und sie zu töten«, sinnierte Lion laut. »Und Kaninchen und Hirsche zu jagen.«

»Gibt es hier etwa Hirsche?«

»Keine Ahnung. In der Nähe der Berge müsste es welche geben. Du kannst dir nicht vorstellen, was ich im Traum alles gegessen habe! Einmal sogar ein totes Pferd. Das war okay, gar nicht so schlimm. Aber in Wirklichkeit…« Er verzog das Gesicht.

»Macht nichts, das lernen wir alles noch«, ermutigte ich ihn. »Wollen wir noch einmal baden gehen?«

Das zweite Mal schien uns das Wasser viel wärmer. Vielleicht hatte es sich während eines halben Tages auch aufgeheizt? Wir balgten am Ufer, dann versuchte Lion zu schwimmen und ein wenig gelang es ihm. Er schwor sogar, dass er einmal im Wasser an einen Fisch gestoßen wäre und diesen ohne jede Angel hätte fangen können.

»Sicherlich denselben, den wir freigelassen haben«, mokierte ich mich, bis zum Hals im Wasser stehend. »Er ist gekommen, um sich zu bedanken.«

»Kannst du dich daran erinnern, ob es hier irgendwelche Ungeheuer gibt?«, erkundigte sich Lion.

»Ich kann mich erinnern, es gibt keine«, erwiderte ich. »Na ja, höchstens ein paar Haie pro See.«

»Stimmt, und sie fressen kleine Jungs.«

»Wieso? Kleine Mädchen mögen sie auch!«

Lion richtete sich furchterregend auf und wedelte mit seinen dürren Armen, wobei er eine Wolke aus Wasserspritzern erzeugte: »Wo sind denn hier die Mädchen? Ich bin ein sehr hungriger Hai! Ich esse keine kleinen Jungs, das sind Schmutzfinken!«

In den Büschen am Ufer, wo wir uns ausgezogen hatten, bewegte sich etwas. Und eine Stimme spottete: »Das stimmt, Schmutzfinken. Und außerdem knochig.«

Lion ließ sich verdutzt fallen und verschwand fast unter der Wasseroberfläche. Ich erstarrte.

Die Sträucher bewegten sich und ein Mädchen von etwa dreizehn Jahren kam zum Wasser. Sie war übrigens auch dünn, ihr Gesicht und die Hände waren nicht einfach schmutzig, sondern zusätzlich mit grüner Farbe beschmiert. Sie trug Shorts und ein khaki-farbenes T-Shirt, in den Händen hielt sie eine Armbrust.

»Na, du Hai, bist du sprachlos?«, fragte das Mädchen und zeigte mit ihrer Armbrust auf Lion. Als ob sie einen Scherz machte, doch ihre Augen blieben aufmerksam und die Waffe hielt sie gekonnt.

»Es wird sich noch herausstellen, wer hier der größere Schmutzfink ist«, meinte ich. »Wer bist du?«

»Du bist es, der auf Fragen antwortet«, erwiderte das Mädchen ruhig. »Und macht keine Dummheiten, ich schieße gut.«

Lion und ich schauten uns an.

So sieht also die Besinnlichkeit eines Naturschutzgebietes aus!

»Du bist sicherlich die Tochter des Försters?«, erkundigte sich Lion. »Oder ein Girlscout? Aber wir jagen nicht und haben doch überhaupt nichts Verbotenes gemacht…«

»Bleib stehen, wo du bist!«, schrie das Mädchen. Sie bewegte ihren Kopf, als ob sie ihre Haare nach hinten werfen wollte, doch ihre Frisur war ganz kurz, fast wie bei einem Jungen. Sie hatte sicherlich erst vor Kurzem die Haare geschnitten und sich noch nicht daran gewöhnt. »Wie heißt ihr? Woher kommt ihr? Was macht ihr hier?«

»Dir werde ich überhaupt nicht antworten!«, empörte sich Lion. »Dumme Pute! Nimm dein Spielzeug weg!«

Ein kurzer Armbrustpfeil pfiff an seinem Ohr vorbei. Bevor wir richtig zu uns kamen, legte das Mädchen einen neuen Pfeil in die Armbrust ein und spannte sie wieder.

»Schrei nicht herum. Wie heißt ihr?«

»Er heißt Lion, ich heiße Tikkirej«, erwiderte ich schnell. Lion verstummte und hörte auf, die Fronten zu klären. »Können wir vielleicht herauskommen? Das Wasser ist kalt.«

»Kommt raus«, erlaubte das Mädchen und trat einen Schritt zurück.

»Dreh dich um«, bat ich. »Es ist uns peinlich.«

Das Mädchen spottete jedoch lediglich: »Tut nicht so als ob, ihr seid nicht nackt, kommt jetzt raus.«

Mit der Fußspitze warf sie unsere Kleidung näher zum Wasser.

Wir gingen zum Ufer und fühlten uns wie totale Idioten, halbnackt vor einem Mädchen mit einer Armbrust zu stehen, das einen verhört! Und dazu noch so genau zielen kann…

»Wir werden ja sehen…«, murmelte Lion undeutlich, aber drohend, als er seine Jeans nahm. Aus dem Gleichgewicht gebracht hob er seine Augen zu unserem Quälgeist. »Was ist, sollen wir uns nass anziehen? Komm, dreh dich um, hab Verständnis!«

»Ich kann mich schon umdrehen«, lächelte das Mädchen zuckersüß, »aber schämt ihr euch nicht vor den anderen?«

»Vor welchen anderen?« Lion drehte den Kopf.

Das Mädchen pfiff laut durch zwei Finger und im selben Augenblick erschienen die »anderen« aus den Sträuchern!

Mindestens ein Dutzend Mädchen! Was heißt hier ein Dutzend — es waren zwei Dutzend. Die Jüngste vielleicht zehn, die Älteste vierzehn Jahre alt. Alle waren in Khaki gekleidet und mit grüner Farbe beschmiert. Alle waren mit einer Armbrust bewaffnet. Sie sahen uns schadenfroh und ohne jedes Mitgefühl an.

Lion zog schweigend seine Jeans über die nasse Unterhose und nahm seine Jacke.


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