Dieser Gedanke macht mich fast krank. Doch ich beruhige mich und denke, er hätte mir das sicher erzählt. Irgend etwas anderes steckt hinter seinem Verschwinden. Ich muß es herausfinden, sobald ich in Mombasa bin.
Die Zeremonie ist beeindruckend. Hunderte von Männern und Frauen erscheinen.
Auch der stolze Bräutigam wird mir vorgestellt, der mir anbietet, wenn ich heiraten wolle, wäre er sofort bereit, auch mich zur Frau zu nehmen. Ich bin sprachlos. Zu Priscil a gewandt fragt er sie tatsächlich, wie viele Kühe er für mich bieten müsse.
Priscil a aber wehrt ab, und er geht.
Dann erscheint die Braut, begleitet von den zwei ersten Frauen. Es ist ein wunderschönes Mädchen, geschmückt von Kopf bis Fuß. Über ihr Alter bin ich schockiert, denn sie ist bestimmt nicht älter als zwölf oder dreizehn Jahre.
Die beiden anderen Ehefrauen sind vielleicht achtzehn oder zwanzig. Der Bräutigam selbst ist sicher auch nicht sehr alt, aber immerhin etwa fünfunddreißig.
„Wieso“, frage ich Priscil a, „werden hier Mädchen verheiratet, die fast noch Kinder sind?“ Das sei eben so, sie selbst sei nicht viel älter gewesen. Irgendwie empfinde ich Mitleid mit dem Mädchen, das zwar stolz, aber nicht glücklich aussieht.
Wieder wandern meine Gedanken zu Lketinga. Ob er überhaupt weiß, daß ich siebenundzwanzig Jahre alt bin? Plötzlich fühle ich mich alt, verunsichert und nicht mehr besonders attraktiv in meinen schmutzigen Kleidern. Die zahlreichen Angebote von verschiedenen Männern, die über Priscilla auf mich zukommen, können dieses Gefühl nicht mindern. Mir gefällt keiner, und in Bezug auf einen möglichen Ehemann existiert in meinen Gedanken nur Lketinga. Ich will nach Hause, nach Mombasa.
Vielleicht ist er in der Zwischenzeit gekommen. Immerhin bin ich schon fast einen Monat in Kenia.
Begegnung mit Jutta
Wir nächtigen das letzte Mal in der Hütte und kehren am nächsten Tag nach Mombasa zurück. Mit klopfendem Herzen marschiere ich zum Village. Von weitem hört man fremde Stimmen, und Priscilla ruft: „Jambo, Jutta!“ Mein Herz macht einen Freudensprung, als ich diese Worte höre. Nach fast zwei Wochen nahezu ohne Konversation freue ich mich auf die angekommene Weiße.
Sie begrüßt mich ziemlich kühl und redet auf Suaheli mit Priscil a. Schon wieder verstehe ich nichts! Doch dann schaut sie mich lachend an und fragt: „So, wie hat dir das Buschleben gefallen? Wenn du nicht vor Dreck stehen würdest, würde ich dir das gar nicht zutrauen.“ Dabei schaut sie mich kritisch von Kopf bis Fuß an. Ich antworte, daß ich froh sei, wieder hier zu sein, denn ich sei total zerstochen und meine Haare juckten ebenfal s gräßlich. Jutta lacht: „Du wirst Flöhe und Läuse haben, das ist al es! Doch wenn du jetzt in deine Hütte gehst, bringst du sie nicht mehr raus!“
Sie schlägt mir wegen der Flöhe ein Bad im Meer mit anschließender Dusche in einem der Hotels vor. Diesen Luxus leiste sie sich immer, wenn sie gerade in Mombasa sei. Ich frage zweifelnd, ob das nicht auffal e, da ich kein Gast sei.
„Unter so vielen Weißen kann man das unbemerkt machen“, zerstreut sie meine Bedenken. Sie gehe manchmal sogar bei den Büffets Essen holen, natürlich nicht immer im selben Hotel. Über all diese Tricks staune ich und bewundere Jutta. Sie verspricht mir, nachher mitzukommen und verschwindet in ihrem Häuschen.
Priscilla versucht, mir die Zöpfchen zu öffnen. Es zieht grausam. Die Haare sind verfilzt und kleben von Rauch und Dreck. In meinem ganzen Leben war ich noch nie so schmutzig und fühle mich dementsprechend schlecht. Nach über einer Stunde mit büschelweisem Haarausfall sind wir am Ziel. Alle Zöpfchen sind geöffnet, und ich sehe aus wie nach einem Stromschlag. Mit Haarwaschmittel, Seife und frischen Klamotten ausgerüstet, klopfe ich bei Jutta an, und wir ziehen los. Sie nimmt Bleistifte und einen Zeichenblock mit. Als ich sie frage: „Was willst du denn damit machen?“ erklärt sie: „Geld verdienen! In Mombasa kann ich leicht zu Geld kommen, deswegen bin ich ja auch für zwei bis drei Wochen hier.“
„Aber wie?“ will ich wissen. „Ich zeichne Karikaturen von Touristen in zehn bis fünfzehn Minuten und verdiene pro Bild etwa zehn Franken. Wenn ich pro Tag vier bis fünf Leute male, lebe ich nicht schlecht!“ erzählt Jutta. Seit fünf Jahren schlägt sie sich auf diese Weise durch, wirkt immer noch selbstbewußt und kennt jeden Trick.
Ich bewundere sie.
Wir sind am Strand angekommen, und ich stürze mich ins erfrischende Salzwasser. Erst nach einer Stunde komme ich wieder heraus, und Jutta zeigt mir das erste Geld, das sie in der Zwischenzeit verdient hat. „So, und jetzt gehen wir duschen“, meint sie lachend. „Du mußt einfach locker und selbstverständlich am Strandwächter vorbeigehen, denn wir sind Weiße, das mußt du dir immer vor Augen halten!“ Es klappt tatsächlich. Ich dusche und dusche und wasche meine Haare wohl fünfmal, bis ich mich sauber fühle. Schließlich ziehe ich ein leichtes Sommerkleid an, und wir gehen wie selbstverständlich zum traditionellen Vier-Uhr-Tee. Alles gratis!
Hier fragt sie, warum ich eigentlich im Village sei. Ich erzähle ihr meine Geschichte, und sie hört aufmerksam zu. Danach folgen ihre Ratschläge: „Wenn du unbedingt hierbleiben willst und deinen Massai haben möchtest, muß endlich etwas geschehen.
Erstens mußt du dir ein eigenes Häuschen mieten, das kostet fast nichts, und du hast endlich Ruhe. Zweitens solltest du dein Geld zusammenhalten und eigenes verdienen, zum Beispiel mit mir Kunden werben, die ich malen kann, dann wird geteilt. Drittens glaube keinem Schwarzen an der Küste. Im Grunde wollen alle nur das Geld. Um zu sehen, ob dieser Lketinga deinen Kummer wert ist, gehen wir morgen ins Reisebüro und sehen nach, ob er dein Geld von damals dort gelassen hat. Wenn ja, ist er noch nicht verdorben vom Tourismus, das meine ich ernst.“ Wenn ich ein Foto von ihm hätte, würden wir ihn mit etwas Glück schon finden!
Jutta tut mir einfach gut. Sie kann Suaheli sprechen, kennt sich aus und hat Energie wie ein Rambogirl. Am nächsten Tag fahren wir nach Mombasa, aber nicht etwa mit dem Bus. Jutta meint, sie werfe doch ihr sauer verdientes Geld nicht zum Fenster heraus, und hält gekonnt den Daumen raus. Tatsächlich hält das erste private Auto, das vorbeikommt. Es sind Inder, die uns bis zur Fähre mitnehmen. Hier besitzen fast nur Inder oder Weiße Privatautos. Jutta lacht mich an: „Siehst du, Corinne, schon hast du wieder etwas gelernt!“
Nach langem Suchen finden wir das Reisebüro. Ich hoffe sehnlichst, daß das Geld nach nunmehr fast fünf Monaten noch hier ist, nicht unbedingt des Geldes wegen, sondern um in dem Glauben bestätigt zu werden, mich in Lketinga und unserer Liebe nicht getäuscht zu haben. Obendrein wil mir Jutta bei der Suche nach Lketinga nur helfen, wenn er dieses Geld nicht abgeholt hat. Anscheinend glaubt sie nicht daran.
Mein Herz klopft bis zum Hals, als ich die Tür öffne und über die Schwelle trete.
Der Mann hinter dem Schreibtisch schaut auf, und ich erkenne ihn sogleich. Noch bevor ich etwas sagen kann, kommt er strahlend mit ausgestreckten Händen auf mich zu und sagt: „Hel o, how are you after such a long time?
Wo ist der Massai-Mann? Ich habe ihn nicht mehr gesehen.“ Bei diesen zwei Sätzen wird mir warm ums Herz, und ich erkläre nach dem ersten Hallo, es hätte mit dem Paß nicht geklappt und deshalb käme ich das Geld wieder abholen.
Immer noch wage ich nicht, daran zu glauben, doch der Inder verschwindet hinter einem Vorhang, während ich einen kurzen Blick auf Jutta werfe. Sie zuckt nur die Achseln. Schon kommt er zurück und hält in beiden Händen bündelweise Geldscheine. Vor Glück könnte ich heulen. Ich wußte es, ich wußte, daß Lketinga nicht hinter meinem Geld her war. In dem Moment, als ich das viele Geld an mich nehme, fühle ich eine ungeahnte Stärke in mir wachsen. Mein Vertrauen ist zurückgekehrt. Das ganze Geschwätz und die Gerüchte kann ich abschütteln. "Wir gehen auf die Straße, nachdem ich den Inder für seine Ehrlichkeit belohnt habe.