Dann sagt Jutta endlich: „Corinne, diesen Massai mußt du wirklich finden. Nun glaube ich dir die ganze Geschichte und vermute auch, daß andere ihre Finger im Spiel haben.“
Glücklich falle ich ihr um den Hals. „Komm“, sage ich, „ich lade dich ein, wir gehen essen wie die Touristen!“
Während des Essens planen wir unser weiteres Vorgehen. Jutta schlägt vor, in etwa einer Woche zum Samburu-District zu starten. Es sei ein langer Weg bis Maralal, dem District-Dorf, wo sie Ausschau halten will nach einem Massai, den sie vielleicht von der Küste her kennt. Dem wird sie die Fotos von Lketinga zeigen, und mit etwas Glück werden wir seinen Aufenthaltsort ausfindig machen. „Dort kennt praktisch jeder jeden.“ Meine Hoffnung steigt von Minute zu Minute. Wohnen könnten wir bei ihren Freunden, denen sie dort helfe, ein Haus zu bauen. Mit allem, was sie mir vorschlägt, bin ich einverstanden, wenn nur endlich etwas passiert und ich nicht länger untätig abwarten muß.
Die Woche mit Jutta gestaltet sich vergnüglich. Ich helfe ihr, Termine für diverse Portraits zu bekommen, und sie malt. Es klappt gut, und wir lernen angenehme Leute kennen. Die Abende verbringen wir meistens in der Bush-Baby-Bar, da Jutta anscheinend Nachholbedarf an Musik und Unterhaltung hat. Trotzdem muß sie aufpassen, daß sie das verdiente Geld nicht gleich wieder ausgibt, denn sonst sind wir in einem Monat noch hier.
Endlich packen wir unsere Sachen. Etwa die Hälfte der Kleider nehme ich in der Reisetasche mit, den Rest lasse ich im Häuschen bei Priscilla. Sie ist nicht glücklich über mein Weggehen und meint, es sei fast unmöglich, einen Massai-Krieger zu finden. „Sie ziehen ständig von Ort zu Ort. Sie haben kein Zuhause, solange sie nicht verheiratet sind, und höchstens seine Mutter weiß viel eicht, wo er ist.“ Aber ich lasse mich nicht mehr abbringen von meinem Plan. Ich bin sicher, das einzig Richtige zu tun.
Zuerst fahren wir mit dem Bus nach Nairobi. Diesmal stört mich die achtstündige Busfahrt überhaupt nicht. Ich bin gespannt auf die Gegend, aus der mein Massai stammt, und mit jeder Stunde kommen wir dem Ziel näher. In Nairobi hat Jutta wieder einiges zu erledigen, und so hängen wir drei Tage im Igbol-Lodging, einem Tramper-Hotel, herum. Aus al er Welt kommen die Tramper hierher und unterscheiden sich sehr von den Mombasa-Touristen. Überhaupt ist Nairobi völlig anders. Alles ist hektischer, und man sieht viele verstümmelte Menschen und Bettler.
Da wir mitten in der „Szene“ unser Lodging haben, sehe ich auch, wie die Prostitution blüht. Am Abend lockt eine Bar neben der anderen mit Suaheli-Musik. Fast jede Frau in den Lokalen verkauft sich, sei es für einige Biere oder für Geld. Hauptkunden in dieser Gegend sind Einheimische. Es ist laut und doch irgendwie faszinierend. Wir zwei weißen Frauen fallen sehr auf, und al e fünf Minuten fragt jemand, ob wir einen
„boyfriend“ suchen. Zum Glück kann uns Jutta in Suaheli energisch verteidigen.
Nachts geht sie in Nairobi nur mit einem Rungu, dem Schlagstock der Massai, auf die Straße, weil es sonst zu gefährlich ist.
Am dritten Tag flehe ich Jutta an, endlich weiterzureisen. Sie wil igt ein, und wir besteigen mittags den nächsten Bus in Richtung Nyahururu. Dieser Bus ist noch viel verlotterter als der in Mombasa, der ja auch nicht gerade ein Luxusliner war. Jutta lacht nur: „Wart ab, bis wir den nächsten nehmen, da wirst du dich wundern! Dieser hier ist okay.“ Wir sitzen eine Stunde im Bus, bis er voll bepackt und restlos ausgebucht ist, denn vorher wird nicht gestartet. Wieder liegen sechs Stunden Fahrt, immer leicht bergauf, vor uns. Ab und zu hält der Bus, einige Menschen steigen aus und andere zu. Natürlich hat jeder Berge von Hausrat dabei, der ab- oder aufgeladen wird.
Endlich sind wir am heutigen Ziel: Nyahururu. Wir schleppen uns zum nächsten Lodging und mieten ein Zimmer. Wir essen noch und gehen schlafen, da ich nicht mehr sitzen kann. Ich bin froh, endlich meine Knochen ausstrecken zu können, und schlafe sofort ein. Am Morgen um sechs Uhr müssen wir aufstehen, denn um sieben Uhr fährt der einzige Bus nach Maralal. Als wir hinkommen, ist er schon fast voll. Im Bus sehe ich einige Massai-Krieger und fühle mich nicht mehr so fremd. Aber wir werden sehr genau gemustert, denn auf allen Fahrten sind wir die einzigen Weißen.
Der Bus ist wirklich eine Katastrophe. Überall springen die Federn aus den Sitzen oder quillt der dreckige Schaumstoff heraus, einige Fensterscheiben fehlen. Zudem herrscht ein ziemliches Chaos. Man muß über diverse Schachteln steigen, in denen Hühner deponiert sind. Andererseits ist es der erste Bus, in dem gute Stimmung herrscht. Es wird viel geredet und gelacht. Jutta springt noch einmal hinaus und holt an einem der zahlreichen Verkaufsstände etwas zu trinken. Sie kommt zurück und reicht mir eine Colaflasche. „Hier, nimm sie und genieße sie sparsam, du wirst sehr durstig werden. Diese letzte Strecke ist staubig, denn wir fahren auf Naturstraßen.
Bis Maralal gibt es nur noch Busch und Einöde.“ Der Bus fährt los, und nach etwa zehn Minuten verlassen wir die geteerte Straße und holpern nun über einen roten, löchrigen Weg.
Augenblicklich ist das Gefährt in eine Staubwolke gehüllt. Wer eine Scheibe im Fenster hat, schließt sie, die anderen ziehen sich Tücher oder Mützen über. Ich huste und kneife die Augen zusammen. Jetzt weiß ich, warum nur noch die hinteren Plätze frei waren. Der Bus fährt langsam, und trotzdem muß ich mich ständig festhalten, damit ich nicht vorrutsche, da er durch die riesigen Schlaglöcher hin- und herschaukelt. „He, Jutta, wie lange geht das so?“ Sie lacht: „Wenn wir keine Panne haben, etwa vier bis fünf Stunden, obwohl es nur 120 Kilometer sind.“ Ich bin entsetzt, und nur der Gedanke an Lketinga läßt mich diese Strecke als halbwegs romantisch erleben.
Ab und zu sehen wir in einiger Entfernung Manyattas, dann wieder lange nichts außer Einöde, roter Erde und hin und wieder einem Baum. Manchmal tauchen Kinder mit einigen Ziegen und Kühen auf und winken dem Bus zu. Sie sind mit ihrer Herde unterwegs auf Nahrungssuche.
Nach etwa anderthalb Stunden hält der Bus zum erstenmal. Links und rechts der Straße stehen einige Bretterbuden. Auch zwei kleinere Läden erspähe ich, die Bananen, Tomaten und andere Kleinigkeiten feilbieten. Kinder und Frauen stürzen an die Scheiben und versuchen, in der kurzen Pause etwas zu verkaufen. Einige der Fahrgäste decken sich mit Nahrung ein, und schon schaukelt der Bus weiter.
Ausgestiegen ist niemand, dafür sind drei weitere geschmückte Krieger hinzugekommen. Jeder trägt zwei lange Speere. Als ich die drei mustere, bin ich mir sicher, daß ich Lketinga bald finden werde. „Beim nächsten Halt sind wir in Maralal“, sagt Jutta müde. Ich bin ebenfalls erschöpft von der ewigen Rumpelei auf der grauenhaften Straße. Bis jetzt hätten wir Glück gehabt, denn wir hatten weder einen Platten noch einen Motorschaden, das wäre sonst nichts Außergewöhnliches, und außerdem sei die Straße trocken. Bei Regen sei die rote Erde nur noch Schlamm, erzählt Jutta.
Nach weiteren eineinhalb Stunden sind wir endlich in Maralal. Der Bus fährt hupend ein und dreht zuerst eine Runde durch das Dorf, das nur eine Straße hat, bevor er am Eingang des Dorfes parkt. Sofort ist er von Dutzenden von Neugierigen umlagert. Wir steigen auf die staubige Straße und sind selbst von Kopf bis Fuß gepudert. Um den Bus drängen sich Menschen jeden Alters, und ein richtiger Tumult entsteht. Wir warten auf unsere Reisetaschen, die unter diversen Kisten, Matratzen und Körben liegen. Beim Anblick dieses Dörfchens und seiner Bewohner ergreift mich die Abenteuerlust.
Etwa fünfzig Meter neben der Haltestelle befindet sich ein kleiner Markt. Überall hängen farbige Tücher, die in der Luft flattern. Berge von Kleidern und Schuhen liegen auf Plastikbahnen. Davor sitzen fast nur Frauen und versuchen, etwas zu verkaufen.
Endlich erhalten wir unsere Taschen. Jutta schlägt vor, zuerst einmal Tee zu trinken und etwas zu essen, bevor wir zu ihrem Häuschen marschieren, das etwa eine Stunde Fußweg entfernt liegt. Hunderte von Augenpaaren folgen uns zum Lodging. Jutta wird von der Inhaberin, einer Kikuyu-Frau, begrüßt. Man kennt Jutta, da sie seit drei Monaten an einem Hausbau in der Nähe beteiligt ist und außerdem als Weiße in dieser Umgebung nicht zu übersehen ist.