Das Teehaus ähnelt dem in Ukunda. Wir sitzen am Tisch und bekommen Essen, natürlich Fleisch mit Sauce und Chapattis, die Fladenbrote, und unseren Tee. Etwas weiter hinten sitzt eine Gruppe Massai-Krieger. „Jutta“, frage ich, „kennst du viel eicht einen von denen, die schauen ständig zu uns herüber!“ „Hier wirst du immer angeschaut“, meint Jutta gelassen. „Wir fangen erst morgen mit der Suche nach deinem Massai an, denn heute müssen wir noch eine ziemliche Strecke bergauf gehen!“

Nach dem Essen, das für meine Verhältnisse fast nichts kostet, brechen wir auf.

Bei brütender Hitze laufen wir eine staubige, stetig ansteigende Straße entlang.

Schon nach einem Kilometer kommt mir meine Reisetasche unendlich schwer vor.

Jutta beruhigt mich: „Warte, wir nehmen eine Abkürzung zu einer Touristen-Lodge!

Vielleicht haben, wir Glück, und es ist jemand mit einem Auto da.“

Auf einem schmalen Pfad raschelt es plötzlich neben uns im Dickicht, und Jutta ruft: „Corinne, bleib stehen! Fal s es Büffel sind, mach keine Bewegung!“

Erschrocken versuche ich, das Wort „Büffel“ in meinen Gedanken zu einem Bild zu formen. Wir stehen bewegungslos da, als ich etwa fünfzehn Meter neben mir etwas Helles mit dunklen Streifen erkenne. Jutta bemerkt es ebenfalls und lacht befreit auf:

„Ach, nur Zebras!“ Von uns aufgeschreckt galoppieren sie davon. Ich schaue Jutta fragend an: „Büffel hast du gesagt, sind die denn so nahe beim Dorf?“ „Wart's ab!“

meint sie. „Wenn wir bei der Lodge sind, sehen wir am Wasserloch mit etwas Glück Büffel, Zebras, Affen oder Gnus.“ „Ist es für Leute, die diesen Weg gehen, nicht gefährlich?“ frage ich verwundert. „Doch, aber normalerweise gehen diesen Weg nur bewaffnete Samburu-Krieger. Die Frauen werden meistens bewacht. Die anderen Leute nehmen die offene Straße, da ist es weniger riskant. Aber dieser Weg ist nur halb so lang!“

Mir wird erst wohler, als wir die Lodge erreichen. Es ist wirklich eine schöne Lodge, nicht so pompös wie die, die ich mit Marco in Massai-Mara besucht hatte. Diese hier ist bescheiden, paßt aber gut in die Gegend. Vergleicht man sie mit dem Einheimischen-Lodging in Maralal, so erscheint sie wie eine Fata Morgana. Wir treten ein. Alles wirkt wie ausgestorben. Wir setzen uns auf die Veranda, und tatsächlich sehen wir in hundert Meter Entfernung am Wasserloch zahlreiche Zebras.

Etwas weiter rechts tummelt sich eine große Gruppe von Pavianweibchen mit ihren Jungen. Vereinzelt erkenne ich unter ihnen auch riesige Männchen. Alle wollen an das Wasser.

Endlich schlendert ein Kellner herbei und fragt nach unseren Wünschen. Jutta plaudert mit ihm auf Suaheli und bestel t zwei Cola. Während wir darauf warten, erzählt sie vergnügt: „Der Chef der Lodge kommt in ungefähr einer Stunde. Er besitzt einen Landrover und wird uns bestimmt nach oben fahren, jetzt können wir gemütlich warten.“ Jede von uns hängt ihren Gedanken nach. Ich studiere die umliegenden Hügel und gäbe viel darum zu wissen, auf oder hinter welchem sich wohl Lketinga befindet. Ob er fühlt, daß ich in seiner Nähe bin?

Wir warten fast zwei Stunden, bis der Manager endlich auftaucht. Er ist ein angenehmer, eher einfacher Mensch ohne Allüren und tiefschwarz. Er bittet uns einzusteigen, und wir erreichen nach fünfzehn Minuten Schüttelfahrt unser Ziel.

Nachdem wir uns bedankt haben, zeigt mir Jutta stolz, wo sie arbeitet. Das Haus ist ein langer Kasten aus Beton, unterteilt in einzelne Räume, von denen zwei annähernd fertig sind. In einem davon wohnen wir. Im Zimmer befinden sich nur ein Bett und ein Stuhl. Fenster gibt es nicht, deshalb muß die Türe tagsüber offen bleiben, wenn man etwas sehen wil. Ich wundere mich, wie Jutta sich in diesem düsteren Raum wohl fühlen kann. Wir zünden eine Kerze an, damit wir in der einbrechenden Dunkelheit noch etwas sehen können. Zu zweit liegen wir im Bett und machen es uns gemütlich, so gut es geht. Vor Erschöpfung schlafe ich bald ein.

Schon am frühen Morgen sind wir wach, da einige Leute lärmend mit der Arbeit beginnen. Wir wol en uns erst einmal an einem Waschbecken mit kaltem Wasser gründlich reinigen, was in der Morgenkühle einiges an Überwindung kostet. Aber schließlich will ich hübsch sein, wenn ich meinem Massai endlich gegenüberstehe.

Aufgedreht und voller Tatendrang möchte ich nach Maralal und mir das Städtchen näher anschauen. Bei so vielen Massai-Kriegern, die ich bei unserer Ankunft gesehen habe, muß es doch einen geben, den Jutta von früher kennt. Mit meiner Euphorie habe ich Jutta angesteckt, und nach dem üblichen Tee ziehen wir los. Ab und zu überholen wir Frauen oder junge Mädchen, die ebenfalls in diese Richtung gehen, um ihre Milch, die sie in Kalebassen tragen, im Ort zu verkaufen.

„Jetzt brauchen wir viel Geduld und Glück“, sagt Jutta. „Vor al em müssen wir etliche Runden drehen, damit wir gesehen werden oder ich jemanden wiedererkenne.“ Das Städtchen ist schnel umrundet. Die einzige Straße verläuft in einer Art Rechteck. Links und rechts von ihr gibt es einen Laden nach dem anderen.

Alle sind, mit wenigen Ausnahmen, halb leer und bieten fast dasselbe an. Zwischen den Geschäften befinden sich ab und zu Lodgings, in denen man im vorderen Raum ißt oder etwas trinkt. Hinten liegen die Übernachtungsräume, einer nach dem anderen, wie in einem Kaninchenstall. Danach folgt die Toilette, die sich immer als Plumpsklo entpuppt. Mit etwas Glück findet sich eine Dusche mit spärlichem Wasserstrahl. Das auffallendste Gebäude ist die Commercial Bank. Sie ist komplett aus Beton und frisch angestrichen. In der Nähe der Bushaltestelle gibt es eine Zapfsäule für Benzin. Autos habe ich allerdings bis jetzt nur drei gesehen, zwei Landrover und einen Pick-up.

Die erste Runde durch das Dorf machen wir recht gemütlich, und ich schaue mir jedes Geschäft an. Der eine oder andere Ladenbesitzer versucht, uns in Englisch anzusprechen. Hinter uns befindet sich immer eine Traube von Kindern, die aufgeregt sprechen oder lachen. Das einzige Wort, das ich verstehe, ist: „Mzungu, Mzungu“, „Weiße, Weiße“.

Wir machen uns gegen sechzehn Uhr auf den Heimweg. Mein Hochgefühl ist geschwunden, obwohl mein Verstand sagt, daß ich Lketinga nicht gleich am ersten Tag finden kann. Auch Jutta beruhigt mich: „Morgen sind wieder ganz andere Menschen im Dorf. Jeden Tag kommen neue, nur die wenigsten wohnen hier, und die sind nicht interessant für uns. Morgen wissen einige Leute mehr, daß zwei weiße Frauen hier sind, denn diese Nachricht bringen diejenigen von heute in den Busch zurück.“ Eine echte Chance sieht Jutta erst nach etwa drei oder vier Tagen.

Die Tage verstreichen, und ich empfinde all das Neue in Maralal nicht mehr besonders aufregend, denn ich kenne bald jeden Winkel in diesem Nest. Jutta hat mit meinen Fotos von Lketinga einige Krieger angesprochen, aber mehr als argwöhnisches Grinsen haben wir nicht geerntet. Nun ist eine Woche vorbei, und es ist immer noch nichts geschehen, außer daß wir uns langsam blöd vorkommen, immer dasselbe zu tun. Jutta erklärt mir, sie komme noch einmal mit und dann solle ich es selber mit den Fotos probieren. In dieser Nacht bete ich, daß es morgen klappen möge, denn ich wil nicht glauben, daß der weite Weg umsonst war.

Als wir die dritte Runde drehen, kommt ein Mann auf uns zu und spricht Jutta an.

An den großen Löchern im Ohrläppchen erkenne ich, daß es sich um einen ehemaligen Samburu-Krieger handelt. Zwischen den beiden entsteht ein lebhafter Wortwechsel, und ich stelle erfreut fest, daß Jutta ihn kennt. Der Mann heißt Tom, und Jutta zeigt ihm die Fotos von Lketinga. Er schaut sie an und sagt langsam: „Yes, I know him.“

Jetzt bin ich wie elektrisiert. Da die beiden nur Suaheli sprechen, verstehe ich fast gar nichts. Immer wieder frage ich: „Was ist, Jutta, was weiß er über Lketinga?“ Wir gehen in ein Restaurant, und Jutta übersetzt. Ja, er kenne ihn, nicht sehr gut, aber er wisse, daß dieser Mann zu Hause bei seiner Mutter lebe und täglich mit den Kühen unterwegs sei. „Wo ist sein Zuhause?“ frage ich gespannt. Es ist recht weit, erzählt er, etwa sieben Stunden Fußmarsch für einen geübten Mann. Man müsse einen dichten Wald durchqueren, der sehr gefährlich sei, da es dort Elefanten und Büffel gebe. Es sei nicht sicher, ob die Mutter immer noch am selben Ort, in Barsaloi, wohne, denn manchmal, je nach Wasservorkommen, zögen die Menschen mit ihren Tieren weiter.


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