Ab und zu bleibt mein weiter Baumwollrock am dornigen Gebüsch hängen. Nach einer weiteren Stunde bin ich völlig verschwitzt und will nun doch etwas trinken. Also gehen wir zum River, den man schon von weitem erkennt, weil dort die Bäume größer und grüner sind. Im ausgetrockneten Flußbett suche ich vergebens nach Wasser. Wir laufen eine Weile am Flußbett entlang, bis wir aus einiger Entfernung mehrere Affen erblicken, die erschrocken über die Felsen davonspringen. Genau bei diesen Felsen gräbt Lketinga ein Loch in den Sand. Nach nur kurzer Zeit wird der Sand dunkler und feucht. Bald bildet sich die erste Wasserpfütze, die mit der Zeit immer klarer wird. Der Durst wird gelöscht, und wir machen uns auf den Heimweg.

Der Rest des Ziegenbeines ist meine Abendmahlzeit. Im Halbdunkel unterhalten wir uns, so gut es geht. Mama will viel von meinem Land und meiner Familie wissen.

Manchmal lachen wir über unsere Verständigungsprobleme. Saguna schläft wie üblich dicht an Mama gepreßt. Allmählich hat sie sich an meine Anwesenheit gewöhnt, doch anfassen läßt sie sich noch nicht von mir. Nach neun Uhr versuchen wir bereits zu schlafen. Das T-Shirt behalte ich an, nur den Rock lege ich unter meinen Kopf als Kissen. Als Zudecke benütze ich einen dünnen Kanga, der mich allerdings nicht vor der Morgenkälte schützt.

Am vierten Tag ziehe ich mit Lketinga los, um den ganzen Tag die Ziegen zu hüten. Ich bin sehr stolz, mitgehen zu dürfen, und freue mich. Es ist nicht einfach, alle beisammen zu halten. Wenn wir anderen Ziegengruppen begegnen, staune ich, wie sogar die Kinder jedes einzelne Tier erkennen, das zu ihnen gehört. Immerhin sind es meistens fünfzig Tiere oder mehr. Man läuft gelassen Kilometer um Kilometer, und die Ziegen knabbern die ohnehin fast kahlen Büsche ab. Um die Mittagszeit werden sie an den Fluß gebracht, um Wasser zu trinken, und dann geht es weiter. Auch wir trinken dieses Wasser. Es ist unsere einzige Nahrung an diesem Tag. Gegen Abend kehren wir nach Hause zurück. Völ ig erschöpft und verbrannt von der sengenden Sonne denke ich: Einmal und nie wieder! Ich bewundere die Menschen, die dies Tag für Tag, ja ihr ganzes Leben lang betreiben. Bei der Manyatta werde ich freudig von der Mama, dem älteren Bruder und dessen Frau empfangen. Am Gespräch zwischen ihnen merke ich, daß ich an Ansehen gewonnen habe. Sie sind stolz, daß ich das geschafft habe. Zum ersten Mal schlafe ich tief und fest bis spät in den Morgen.

Mit einem frischen Baumwollrock krieche ich aus der Manyatta. Die Mama staunt und fragt, wie viele ich denn besitze. Ich zeige vier Finger, und sie meint, ob ich ihr nicht einen abtreten könne. Sie besitzt nur den, den sie schon seit Jahren trägt. Den Löchern und dem Schmutz nach ist das leicht zu glauben. Nur sind ihr meine viel zu lang und zu eng. Ich verspreche ihr, einen von der nächsten Safari mitzubringen. Für Schweizer Verhältnisse besitze ich wirklich nicht mehr viele Kleider, aber hier kommt man sich mit vier Röcken und etwa zehn T-Shirts fast unverschämt vor.

Heute will ich meine Wäsche im spärlichen Flußwasser waschen. Deshalb gehen wir in einen Shop und kaufen Omo. Dieses einzige Waschmittel, das man in Kenia kaufen kann, wird auch zur Körperpflege und zum Haarewaschen benutzt. Es ist nicht einfach, mit wenig Wasser und viel Sand die Kleider zu waschen. Lketinga hilft mir sogar, wobei er von den anwesenden Mädchen und Frauen kichernd beobachtet wird. Dafür, daß er sich meinetwegen bloßstellt, liebe ich ihn noch mehr. Männer verrichten nahezu keine Arbeit, schon gar nicht Frauenarbeit, wie Wasser holen, Brennholz suchen oder eben Kleiderwaschen. Nur ihren eigenen Kanga waschen sie meistens selbst.

Am Nachmittag beschließe ich, bei der „pompösen“ Mission vorbeizuschauen, um mich vorzustel en. Ein grimmig bis erstaunt aussehender Missionspater öffnet die Türe. „Yes?“ Ich krame mein bestes Englisch hervor, um zu erklären, daß ich hier in Barsaloi bleiben möchte und mit einem Samburu-Mann zusammenlebe. Etwas abweisend schaut er mich an und sagt mit italienischem Akzent: „Yes, and now?“

Ich frage ihn, ob es möglich sei, ab und zu mit ihm nach Maralal zu fahren, um Eßwaren zu besorgen. Kühl erwidert er, daß er nie im voraus wisse, wann er Maralal aufsuche. Abgesehen davon sei er zuständig, kranke Menschen zu transportieren, aber nicht dafür, Einkaufsmöglichkeiten zu bieten. Er streckt mir seine Hand entgegen und verabschiedet mich kühl mit den Worten: „I’m Pater Giuliano, arrivederci.“

Benommen von dieser Abfuhr stehe ich vor der geschlossenen Tür und versuche, meine erste Begegnung mit einem Missionar zu verdauen. Wut steigt in mir auf, und ich schäme mich, weiß zu sein. Langsam gehe ich zurück zur Manyatta und zu meinem armen Volk, das bereit ist, das wenige mit mir zu teilen, obwohl ich für sie völlig fremd bin.

Meine Erlebnisse erzähle ich Lketinga. Er lacht und meint, diese zwei Missionare seien nicht gut. Der zweite, Pater Roberto, sei aber entgegenkommender. Ihre Vorgänger hätten sie besser unterstützt und in einer solchen Hungersnot immer wieder Maismehl verteilt. Diese hier würden zu lange warten. Die Abfuhr des Paters stimmt mich traurig. Anscheinend kann ich auf eine Mitfahrgelegenheit nicht hoffen.

Und betteln will ich nicht.

Die Tage verstreichen in gleichmäßigem Rhythmus. Die einzige Abwechslung sind die verschiedenen Besucher in der Manyatta. Mal sind es Alte, mal Krieger derselben Altersgruppe, wobei ich meist stundenlang zuhören muß, um wenigstens ab und zu ein Wort zu verstehen.

Ende des 1. Bandes

Es folgt Band 2

Der Landrover

Nach vierzehn Tagen wird mir klar, daß ich nicht länger mit dem einseitigen Essen auskommen kann, obwohl ich täglich eine europäische Vitamintablette zu mir nehme.

Einige Kilo habe ich schon verloren, was ich an den weiter werdenden Röcken bemerke. Ich will bleiben, das steht fest, aber nicht verhungern. Auch fehlt mir Toilettenpapier, und die Papiertaschentücher schwinden ebenfalls. Mit der Steinputzmethode der Samburus kann ich mich beim besten Wil en nicht anfreunden, obwohl sie umweltfreundlicher ist als mein weißes Papier hinter den Büschen.

Bald steht mein Entschluß fest. Ein Auto muß her. Natürlich nur ein Landrover, alles andere ist hier unbrauchbar. Ich bespreche dies mit Lketinga, und er wiederum redet mit Mama, der dieser Gedanke absurd vorkommt. Ein Auto, da ist man jemand von einem anderen Stern mit viel, viel Geld. Sie ist noch nie in einem Auto mitgefahren. Und die Leute, was werden die Leute sagen? Nein, glücklich ist Mama nicht gerade, aber sie versteht mein und unser al er Problem, das Essen.

Der Gedanke, einen Landrover zu haben und unabhängig zu sein, beflügelt mich mächtig. Da aber mein Geld in Mombasa ist, bedeutet das für mich, noch einmal die lange Reise anzutreten. Ich muß meine Mutter bitten, den Geldnachschub von meinem Schweizer Konto zur Mombasa-Barclays-Bank zu veranlassen.

Ich überlege hin und her und hoffe, daß Lketinga mich begleitet, weil ich keine Ahnung habe, woher ich ein Auto bekommen sol. Autohändler wie bei uns in der Schweiz sind mir nicht aufgefallen. Wie man Papiere und Nummernschilder erhält, ist mir ebenso unklar. Eines weiß ich jedoch: Ich werde mit einem Auto wiederkommen.

Noch einmal trete ich den unangenehmen Gang zur Mission an. Diesmal öffnet Pater Roberto. Ich berichte von meinem Vorhaben und bitte um die nächste Mitfahrgelegenheit nach Maralal. Höflich erwidert er, ich solle in zwei Tagen wiederkommen, dann fahre er viel eicht hinunter.

Vor der Abfahrt erklärt mir Lketinga, daß er nicht mitkommt. Er wolle Mombasa nie mehr sehen. Ich bin enttäuscht, und doch verstehe ich ihn nach al em, was passiert ist. Wir reden die halbe Nacht, und ich spüre seine Angst, ich könnte nicht mehr wiederkommen. Auch Mama ist dieser Meinung. Immer wieder verspreche ich, in spätestens einer Woche wieder hier zu sein. Am Morgen ist die Stimmung gedrückt.


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