Nach zwei- bis dreihundert Metern ist das Hindernis überwunden. Der Wald lichtet sich langsam, und ich bin froh, daß es hel er um mich wird. Kurz darauf stehe ich vor der Geröllhalde. Auch diese hatte ich anders in Erinnerung. Als ich die Strecke das erste Mal mitfuhr, saß ich hinten, und meine Gedanken galten nur Lketinga.

Ich halte an und steige aus, um zu sehen, ob die Straße wirklich weitergeht. Die Steine sind an einigen Stellen halb so hoch wie das Rad des Landrovers. Jetzt packt mich doch das Entsetzen, und ich fühle mich allein und überfordert trotz meiner guten Fahrkenntnisse. Um die Stufen geringer zu halten, schichte ich Steine aufeinander. Die Zeit läuft, in zwei Stunden ist es dunkel. Wie weit ist es noch bis Barsaloi? In meiner Nervosität kann ich mich an nichts mehr erinnern. Ich lege den Vierrad ein und weiß, ich darf nicht bremsen oder kuppeln, sondern muß den Wagen im Vierrad darüberklettern lassen, obwohl es steil hinuntergeht. Die ersten Brocken nimmt der Wagen. Dabei reißt es mir fast das Steuer aus der Hand. Ich stemme den Oberkörper mit auf und hoffe, daß al es gutgeht. Der Wagen rumpelt und ächzt. Da er so lang ist, steht das Hinterteil meistens noch auf dem letzten Brocken, während das Vorderteil schon über den nächsten Stein schleicht. In der Mitte der Geröllhalde passiert es: Der Motor gluckert kurz auf und stirbt dann komplett ab. Ich hänge schräg über dem Steinbrücken, und der Motor ist verreckt. Wie bringe ich ihn nur wieder an? Ich drücke kurz die Kupplung, und schon rollt er krachend einen halben Meter weiter. Sofort lasse ich los, denn so geht es nicht. Ich steige aus und sehe, daß ein Hinterrad in der Luft hängt. Hinter das andere schleppe ich einen großen Stein. Inzwischen bin ich der Hysterie nahe. Als ich ins Fahrzeug steige, sehe ich zwei Krieger auf einem nahen Felsen, die mich interessiert beobachten. Zu helfen kommt ihnen anscheinend nicht in den Sinn, trotzdem fühle ich mich wohler, da ich nicht mehr so allein hier draußen bin. Nun versuche ich den Motor zu starten. Er blabbert kurz an, um gleich darauf zu verstummen. Immer und immer wieder probiere ich es. Ich will hier weg. Die zwei stehen stumm auf dem Felsen. Was sollen sie auch helfen, sie verstehen wahrscheinlich ohnehin nichts von Motoren.

Als ich schon nicht mehr daran glaube, springt er plötzlich wieder an, als wäre nichts gewesen. Ganz, ganz langsam lasse ich die Kupplung los und hoffe, daß der Wagen über den dazwischengelegten Stein klettern kann. Nach kurzem Spulen und Geduld mit der Kupplung schafft er es und schaukelt weiter von Stein zu Stein. Nach etwa zwanzig Metern ist das Gröbste vorbei, und ich kann meine Arme etwas lockern. Erst jetzt weine ich erschöpft und bin mir der Gefahr bewußt, in der ich mich befunden habe.

Der Weg verläuft nun ziemlich eben. Abseits des Weges erkenne ich einige Manyattas und Kinder, die aufgeregt winken. Ich verlangsame das Tempo, um ja keine Ziege zu überfahren, die hier so zahlreich sind. Etwa eine halbe Stunde später erreiche ich den großen Barsaloi-River. Auch er ist nicht gefahrlos zu überqueren, obwohl er im Moment kein Wasser führt, dafür hat er Treibsand. Noch mal schalte ich den Vierrad ein und rase mit Tempo durch den etwa hundert Meter breiten River. Der Wagen nimmt die letzte Steigung vor Barsaloi, und langsam und stolz fahre ich durch das Dörfchen. Überall bleiben die Menschen stehen, sogar die Somalis kommen aus ihren Geschäften. „Mzungu, Mzungu!“ höre ich von allen Seiten.

Plötzlich steht Lketinga mitten auf der Straße, zusammen mit zwei anderen Kriegern. Er ist im Fahrzeug, bevor ich richtig halten kann, und strahlt mich überglücklich an. „Corinne, you come back and with this car!“

Ungläubig schaut er mich an und freut sich wie ein Kind. Ich möchte ihn am liebsten umarmen. Die beiden Krieger steigen auf seine Aufforderung ein, und wir fahren zur Manyatta. Die Mama flüchtet, auch Saguna springt schreiend davon.

Innerhalb kurzer Zeit ist das abgestel te Fahrzeug umringt von Alt und Jung. Mama wil das Auto nicht neben dem Baum stehen lassen, da sie fürchtet, jemand könnte es mutwillig beschädigen. Lketinga öffnet das Dornengestrüpp, und ich parke den Wagen neben der Manyatta, die neben dem großen Fahrzeug noch kleiner wirkt. Der Gegensatz sieht wirklich grotesk aus.

Wir laden alles Eßbare aus und verstauen es in der Hütte. Ich freue mich auf Mamas Tee. Sie ist glücklich über den mitgebrachten Zucker. In den Geschäften gibt es wenigstens wieder Maismehl, wie ich erfahre, aber keinen Zucker. Lketinga bestaunt zusammen mit den beiden anderen den Wagen. Mama spricht dauernd mit mir. Ich verstehe zwar nichts, aber sie scheint glücklich zu sein, denn als ich hilflos lache, stimmt sie mit ein.

An diesem Abend schlafen wir erst spät, ich muß ausführlich berichten. Bei den Büffeln werden alle ernst, und Mama murmelt ständig „Enkai-Enkai“, was Gott heißt.

Als der ältere Bruder mit den Ziegen nach Hause kommt, staunt auch er nicht schlecht. Es wird viel besprochen. Man müsse das Fahrzeug bewachen, damit niemand etwas stiehlt oder gar böswillig beschädigt, wird beschlossen. Lketinga will die erste Nacht im Landrover schlafen. Das Wiedersehen habe ich mir anders vorgestel t, doch ich sage nichts, weil seine Augen vol er Stolz leuchten.

Am nächsten Tag möchte er bereits einen Ausflug machen und seinen Halbbruder besuchen, der in Sitedi seine Kühe hütet. Ich versuche Lketinga zu erklären, daß wir keine großen Ausflüge machen können, weil ich kein Ersatzbenzin habe. Die Benzinuhr zeigt nur noch halbvoll. Das reicht gerade, um wieder nach Maralal zu kommen. Er sieht es nur widerwil ig ein. Es tut mir ja auch leid, daß ich ihn nicht stolz durch die Gegend fahren kann, aber ich muß hart bleiben.

Drei Tage später steht der Hilfs-Chief vor unserer Manyatta. Er spricht mit Lketinga und Mama. Ich verstehe nur „Mzungu“ und „car“. Es geht um mich. In seiner schlecht sitzenden, grünen Uniform sieht er komisch aus. Nur das große Gewehr verleiht ihm etwas Autorität. Englisch kann er auch nicht. Später will er meinen Paß sehen. Ich zeige ihn und frage, was los sei. Lketinga übersetzt mir, ich müsse mich in Maralal im Office registrieren lassen, da Europäer nicht in den Manyattas leben dürften.

Zukunftspläne

An diesem Nachmittag beschließen Lketinga und ich gemeinsam mit der Mama, daß wir heiraten werden. Der Mini-Chief meint, wir müßten das in Maralal auf dem Office erledigen, denn die traditionelle Heirat im Busch reiche nicht aus. Als alles besprochen ist, will der Chief nach Hause gefahren werden. Für Lketinga ist es selbstverständlich, er ist schließlich eine „Respektsperson“. Daß er das schamlos ausnützt, merke ich schon jetzt. Als ich starte, schaue ich zufällig auf die Benzinuhr und stelle mit Schrecken fest, daß das Benzin geschwunden ist, obwohl der Wagen nicht benutzt wurde. Ich kann mir das nicht erklären. Wir fahren los, und der Chief setzt sich auf den Nebensitz, während Lketinga hinten Platz nimmt. Ich finde das zwar unverschämt, schließlich gehört uns der Wagen, sage aber nichts, weil es Lketinga anscheinend nicht stört. Am Ziel verkündet der Chief selbstgefällig, er müsse in zwei Tagen nach Maralal, und da ich das mit dem Office sowieso erledigen müsse, könnten wir ihn mitnehmen. Tatsächlich läuft mein Visum in einem Monat aus.

Zurück bei der Manyatta stel e ich fest, daß das restliche Benzin nicht reicht, um nach Maralal zu fahren, außerdem wil ich die längere, aber einfachere Strecke nehmen. Ich gehe zur Mission. Pater Giuliano öffnet und fragt diesmal eine Spur höflicher: „Yes?“ Ich erkläre ihm meine Benzinprobleme. Auf seine Frage, welchen Weg ich denn gekommen sei, antworte ich: „Den durch den Wald.“ Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, daß er mich genauer und mit etwas Respekt betrachtet. „This road is very dangerous, don't go there again.“

Dann meint er, ich solle den Wagen vorbeibringen, er schaue sich den Tank an. In der Tat hängt dieser an einer Seite etwa fünf Zentimeter herunter, so daß Benzin verdunstet. Jetzt weiß ich auch, warum ich an den Steinen hängengeblieben bin.


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